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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Stattdessen nörgelte er jedes Mal nur herum, wenn Jorge ihn anrief. Meinte, dass das Ganze den Bach runtergehen würde. Dass es zu gefährlich wäre, zu crazy. Ihnen zu lange Strafen einbrächte, wenn sie erwischt würden.
    Oftmals rief er gar nicht erst zurück.
    Nach ein paar Tagen: Der Typ verschwand völlig von der Bildfläche. Jorge versuchte ihn zwei-, dreimal anzurufen. Doch der Schwedenidiot pfiff darauf, ihn zurückzurufen. Jorge schaltete Tom ein. Bat ihn, mit seinem Kumpel mal ’n ernstes Wort zu reden – Viktor zur Raison zu bringen. Jorges Geduldsfaden war noch ungefähr zwei Millimeter lang, bevor ihm die Faust in der Fresse dieses Typen explodieren würde.
    Die Tage vergingen. Nichts geschah.
     
    Jorge stieg aus dem Wagen. Blendete seine Raubüberfallgedanken aus. Schaute hinauf zu Paolas Wohnung. Vierter Stock. Hägerstensväg. Örnsberg. Paola war so weit von ihrer Heimat Sollentuna weggezogen, wie sie nur konnte. Ein deutlicher Fingerzeig – sie wollte klarstellen, dass sie selbst entschied. Aber Jorge fragte sich, ob sie dabei nicht ihre Mutter vergessen hatte. Okay, sie besuchte sie bestimmt öfter als er. Aber Jorge wohnte schließlich näher dran.
    Er klingelte an der Wohnungstür.
    Hörte Geräusche von drinnen. Sah etwas Dunkles durch den Türspion. Zwei Sekunden später: Sie öffnete.
    »Komm rein«, forderte sie ihn auf.
    Er zog die Schuhe aus. Betrat die Wohnung. Auf dem Fußboden lagen Lego- und Playmobilteile.
    Jorgito kam angerannt. »Hej, hej, hej. Komm mit und guck!«
    Jorge nahm den Jungen hoch, warf ihn in die Luft und küsste ihn auf die Wangen.
    Benutzte dieselben spanischen Ausdrücke, die seine Mutter immer benutzt hatte. »
Caramba, cómo has crecido!
«
    Sie gingen ins Zimmer des Jungen. Blaue Tapeten mit Tieren drauf. Ein Teppich auf dem Fußboden, der mit Straßen und Häusern bedruckt war. Plastikspielsachen überall verteilt.
    Paolas schlurfende Schritte im Hintergrund.
    Er stellte Jorgito wieder ab. Sah Paola an.
    »Was ist denn los?«
    »Wieso?«
    »Paola, du brauchst es gar nicht erst zu versuchen. Vielleicht kennst du mich nicht so genau, aber ich kenn dich. Was ist los?«
    Paola beugte sich hinunter. Nahm Jorgitos Hand. »Komm, wir gehen in die Küche.«
    Ihr Gesicht war ausdruckslos.
    Er stellte sich vor sie. Sie ging an ihm vorbei zur Spüle. Goss Little-Jorge ein Glas Saft ein.
    Jorge stellte sich erneut vor sie. Ergriff mit beiden Händen ihr Gesicht.
    »Paola, was ist
los

    »Mir ist heute gekündigt worden.«
    Paola sah total fertig aus. War kurz davor loszuheulen. Sie ließ die Hand ihres Sohnes los. Wollte offenbar nicht, dass er sah, wenn sie weinte. Der kleine Junge schaute zu Jorge auf: »Hast du mir heute wieder ein Flugzeug mitgebracht?«
    Jorge versuchte zu lächeln. Beim letzten Mal, als er hier war, hatte er ihm ein Playmobilflugzeug mitgebracht. Diesmal hatte er ein anderes Geschenk dabei.
    Verdammt – er hatte im Augenblick eigentlich keine Zeit für Familienprobleme. Die Vorbereitungen für den GTÜ nahmen all seine Zeit in Anspruch. Dennoch: Er wusste, wie froh Paola über ihren Job als kaufmännische Angestellte in einem IT -Unternehmen gewesen war. Außerdem: Er wusste, wie tough es für sie als alleinstehende Mutter war.
    Er gab Jorgito sein Geschenk, einen Legobausatz. Eigentlich total krank: »Lego Racers 8199 – Geldtransportüberfall«. Er las den Text auf der Rückseite der Packung.
Das gepanzerte Fahrzeug muss wegen Bauarbeiten anhalten, woraufhin es von dem grünen Lkw gerammt wird, der es auf das Geld abgesehen hat
.
    Er versuchte Paola zu fragen, was passiert war. Warum ausgerechnet sie gehen musste.
    Sie unterhielten sich eine Weile. Setzten sich. Der Holztisch hatte runde Flecken von zu heißen Bechern.
    »Ich bin nicht die Einzige, der gekündigt wurde. Sie haben überall Kürzungen vorgenommen. Es gibt gewisse Reglements für so etwas.«
    »Aber wieso ausgerechnet im Vertrieb?«
    »Wir waren dort nur zu dritt, und ich war am kürzesten dort. Zuletzt rein, zuerst draußen, wie es heißt. Wenn ich innerhalb von neunzig Tagen keinen Job finde, wird es eng.«
    Jorges Feeling: Sie tat ihm leid. Zugleich: Neunzig Tage lang garantiertes Arbeitslosengeld klang ziemlich nett. Sie gehörte ja inzwischen zu den Neun-bis-Fünfern. Sie war ein Teil des Systems. Und bald: Er würde finanziell unabhängig sein – konnte Paola mit jeder x-beliebigen Summe aushelfen.
    Er legte den Arm um sie. Sah Bilder vor seinem inneren Auge. Er und

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