Lasse
unangenehm, sie neben ihrer Fahrertätigkeit mit Besorgungen zu beschäftigen. Diesmal aber ging es nicht anders, da ich bis zum nächsten Abend weg war.
»Peer, kannst du für mich eine Kiste Bier und Cola und Wein für die Pizza-Klappe besorgen?«
»Klar, kein Thema.«
»Danke.«
Ich gab ihm die fünfzig Euro, die ich eigentlich für Taxifahrten dabei hatte.
»Du kommst erst morgen wieder? Aber mit dem Zug, oder?«, fragte Peer höflich, der spürte, dass mir unangenehm war, ihn zu fragen.
»Ja, es gab keinen Flug zu der Zeit. Das Synchron ist am Nachmittag. Ist leider alles sehr eng.«
Wir schwiegen und ich blickte aus dem Fenster und sah Flugzeuge landen. Wir waren schon fast da. Ich dachte an Hamburg, meine eigene Wohnung, eigentlich der Ort, wo ich zur Ruhe kam, aber gerade hatte ich keine Lust, dort zu sein. Im Gegenteil. Je weiter ich weg von Moon fuhr, desto schlechter fühlte ich mich.
Ich kam am späten Abend an, holte mir Geld, fuhr mit dem Taxi nach Hause und ließ mir eine Quittung geben, obwohl ich meist vergaß, sie bei der Produktion einzureichen.
Die Wohnung war kalt und leer und kam mir unaufgeräumter vor, als ich sie verlassen hatte. Da aber sicher niemand gekommen war, um sie in Unordnung zu bringen, war es wohl nur mein schneller Aufbruch gewesen. Ich holte mein iPad raus und kontrollierte die neuen Mails. Im Kinderheim gab es kein W-Lan und man konnte nur im Produktionsbüro ins Internet. Ich fand die Dispo für das Synchron und eine ältere Mail meiner Mutter, die mich an den Gerichtstermin für Oles Verhandlung erinnerte, zu dem man mich vorgeladen hatte. Er stand schon lange fest, meine Mutter hatte den Tag schon vor dem Dreh als Sperrtag angegeben, die Produktion wusste Bescheid, aber ich fühlte mich trotzdem überrumpelt. Es wurde also ernst. Und das alles schon übermorgen. Was hieß, dass ich wieder nur für einen Tag nach Leipzig fuhr und dann gleich zurück musste. Ich stöhnte. Ich machte den Dreh überhaupt nur, um in Moons Nähe zu sein und nun war ich ständig unterwegs. Am liebsten wäre ich nicht hingegangen, aber ich konnte Ole nicht hängen lassen, egal ob und wie ich aussagen würde. Ich dachte an Gerion und überlegte kurz, ob ich ihn anrufen sollte. Doch was sollte ich mit ihm klären? Ich hatte nicht vor, irgendetwas auszusagen, was Ole belastete. Ich warf mich auf mein Bett, legte die Hände auf meine Augen und versuchte zu entspannen. So schlief ich schließlich ein.
Als ich nach dem Synchron wieder im Zug saß, kam es mir fast so vor, als ob ich gar nicht in Hamburg gewesen wäre. Manche sehr gut beschäftigte Schauspieler lebten nur so. Ständig unterwegs, auf dem Zug, im Flugzeug, im Hotel. Im Grunde der Traum. Immer hatten sie Arbeit, von einem Engagement zum nächsten, dazwischen Synchrontermine oder Hörspielaufnahmen, womöglich noch eine Theaterproduktion. Aber war es das, was ich wollte? Mein Leben lang unterwegs sein? Im Moment wollte ich jedenfalls nur ankommen, ich konnte es kaum erwarten, wieder ans Set und zu Moon zu kommen.
Ich hatte das Drehbuch dabei, übte meinen Text und versuchte die Blicke der Mitfahrer zu ignorieren. Zweite Klasse zu fahren war immer etwas anstrengender, aber bei einem Low Budget Dreh konnte ich nicht auf erste Klasse Tickets bestehen. Die nächste Szene, die wir drehten, war die erste wichtige Szene zwischen Ida und Jack. Eine Liebesszene. Eindeutig. Wenn Jack Ida bei der Flucht aus dem Kellerfenster half und sie Blicke tauschten, dann mussten die Zuschauer genau wissen, dass es Liebe war. Ich zog scharf die Luft ein. Ich hatte diese Art von Szenen schon oft gespielt, aber das hier war etwas anderes. Ich war verliebt in Moon, wenn es nicht noch mehr war. Natürlich konnte ich mich hinter meinem Spiel verstecken. Alle Profis konnten das. Und was war mit Moon? Sie war kein Profi und genau wie Karl in der Kampfszene, konnte ich sie überrumpeln oder testen. Und so herausfinden, wie sehr sie mich mochte. Ein tiefer Blick in ihre Augen, und ich würde es sehen. Aber warum sollte ich ausgerechnet mit Moon diese Spielchen spielen? Sie austricksen? So begann man keine gute Beziehung, so bekam man jemanden ins Bett, aber darum ging es mir gar nicht. Ich legte den Kopf zurück gegen den Sitz und merkte erst, dass ich stöhnte, als mein Nachbar sich verlegen räusperte.
Der Produktionsbus fuhr auf den Hof des Kinderheims und wir stiegen aus.
»Geh am besten gleich in Kostüm und Maske«, sagte Peer.
»Sind die anderen schon am
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