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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Maier
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Nach meinen ersten urbanen Wochen zwischen gut gestylten Menschen, Macchiatodestillen und Schnickschnackläden namens »Kaufrausch« ist der Besuch des Baumarkts eine Art Hinüberzoomen in die wirkliche Welt mit wirklichen Menschen und wirklichen Gärten und Häusern. Hier geht’s ums Praktische, nicht um die Pose. So etwas wie den in Innenstadtlagen beliebten Schmetterlingslavendel oder die empfindliche Ranunkel sucht man hier vergeblich. Hier gibt’s zwanzig Regalmeter Geranien (stehend und hängend), Fuchsien, Tomatensetzlinge, Rattenfallen, Grubber und Erdbeerfolie. Und natürlich eine große Auswahl an Rasenmähern, von denen einer, der mir gefallen könnte, erfreulicherweise im Angebot ist.
    Ich schaue mir die Kerndaten des Geräts an. 37 Zentimer Messerbreite, 40 Liter Fangkorbvolumen, fünffache Schnitthöhenverstellung und dann noch um 20 Prozent preisgesenkt – da kann man nicht meckern. Während ich sinniere und ein bisschen am Startknopf herumspiele, gesellt sich ein Landsmann zu mir, um die Vor- und Nachteile dieses Rasenmähers zu erörtern. »Schön leicht ist der«, spricht er mich an, »das is was für ’ne Frau wie Sie, da muss Ihr Mann nich mähen.« Ich schaue ihn an. Der genderungeübte Herr ist eines jener brandenburgischen Exemplare, wie man sie hier häufiger trifft: gut genährt, ausgestattet mit jeder Menge Zeit und entsprechend gesprächig. Für den Ausflug in die Öffentlichkeit hat er seinen besten Adidas-Jogginganzug übergestreift: schwarz mit güldenen Streifen.
    Er ist ein Klischee auf zwei Beinen, natürlich. Aber ich bin so gottfroh, dass er mich anquatscht! Weil das eben bei mir zu Hause so ist, so handfest. Wir Brandenburger reden nicht über den neuesten Experimentalkinofilm, nicht über Luhmann oder den Aufmacher des FAZ -Feuilletons. Wir reden über das Preis-Leistungs-Verhältnis von Rasenmähern in zupackenden Frauenhänden. Und das, genau das habe ich gesucht, als ich einst die Hauptstadt verlassen habe. Weniger Selbstinszenierung, mehr Erdung, das, was man im Allgemeinen unterkomplex nennt. Ich kaufe diesen wunderschönen Rasenmäher, der goldgestreifte Mann hievt ihn mir auf den Transportwagen, und die Kassiererin mit der pink-schwarzen Frettchenfrisur gratuliert mir zu meiner Entscheidung.
    Wieder zu Hause angekommen, düse ich mit dem Mäher übers Grundstück. Achthundert Quadratmeter bei siebenunddreißig Zentimeter Messerbreite – das dauert. Kann es auch, soll es sogar. Stumpfe Arbeit, Motorenlärm, großflächiger Erfolg: Am Ende liegt der Rasen wie ein sauber rasierter Igel vor mir. Ich koche einen Kaffee, setze mich raus ins Grüne, bin zufrieden und beschließe, heute ausnahmsweise mal über Nacht am Stadtrand zu bleiben und die Einladung von Bekannten aus dem Ort zum Grillen wahrzunehmen.
    Punkt acht Uhr sitzen wir alle ums Feuer. Das Spalierobst an der Loggia kämpft gegen seine Drähte, im Kräuterbeet lugen Liebstöckel und Petersilie in die Dämmerung. Sechs Erwachsene trinken Bier und Met, essen Bratwürste und Salat, und gegen Mitternacht gibt’s dann noch ein ordentliches Stammtischgespräch über Politiker im Allgemeinen, blöde Wessis im Besonderen sowie die Untauglichkeit der Demokratie. Mein Mann und ich versuchen, unter dem beträchtlichen Einfluss von Alkohol die zweifellos unvollkommenen, aber bislang alternativlosen Vorzüge des westdeutschen Gesellschaftssystems zu verteidigen. Hätten wir bloß den Mund gehalten. Unsere Brandenburger Mitbürger legen immer entschiedener ihre Sicht der Dinge dar. Politiker – alles Raffkes. Westler – auch Raffkes, nur dümmer. Demokratie – da war es ja in der DDR mit ihrer kommoden Diktatur noch besser.
    Ich werde zusehends stiller und denke an meinen schönen Nachmittag im Baumarkt, als ich mich aus ganzem Herzen über die handfeste Unterkomplexität gefreut habe. Dieser Abend am verglimmenden Feuer ist eine weitere Lektion in Demut. Die braucht man nämlich, wenn Vorurteil auf Wirklichkeit trifft. Egal ob man von der Hauptstadt in die Pampa zieht oder ob man – wie ich – in den Prenzlauer Berg geht und dort das Wesen und Wirken eines gentrifizierten Stadtbezirks zu erkunden versucht. Am nächsten Morgen mache ich mich ganz fix wieder auf in die Innenstadt. Frühling gibt’s auch dort.

S treifen und Streublümchen oder
    N icht jeder nur ein Kind

    F ein säuberlich hängen die Strampler, die Kleidchen und Bodys auf der Stange. Beste Baumwolle, gediegene Muster: Streifen für die Jungs,

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