Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Daumen und Zeigefinger, vor einem schalen Bier. Ab und zu sagte mal einer was – zustimmendes Murmeln. Ansonsten herrschte behagliches Schweigen. Diese Männer hatten ihr Leben gelebt, sie waren sich ihrer Sache sicher, ihrer Entscheidungen und Überzeugungen. Und so ähnlich verhält es sich offenbar auch mit diesen Frauen hier, die ja ebenfalls über endlos viel Zeit für Muße und ausreichend Geld für Kaffee und Kuchen verfügen. Wie machen die das bloß, denke ich, müssen die nicht auch irgendwann mal wieder arbeiten?
Es ist ein Phänomen der Gentrifizierung, dass sich solche sozialen Phänomene herausbilden. Nicht jeder hier kann das gut ab. Auf die Angebotstafel des Cafés Milchbart haben kritische Bürger FUCK gesprüht. Ob das als Aufforderung oder Drohung gemeint ist, kann sich jeder selbst zusammenreimen. Aber der Laden ist gut besucht, der Milchschäumer zischt fleißig, und die Serviererinnen tragen ihr schönstes Tantenlächeln zur Schau – draußen auf dem Gehweg lungern die Frauen mit ihren Kinderwagen wie eine Gruppe Seekühe in der Polarsonne.
Die Verkäuferin vom Conceptstore fragt sich indes, wohin das alles führt. Auch ihr ist es hier inzwischen zu voll, zu kinderig, zu hermetisch, sagt sie. Klar, sie verkauft diesen Familien ihre Waren des nicht alltäglichen Bedarfs – dennoch spricht sie von Druck, den die ständig zur Schau getragene Familienheiligkeit ausübt. Schon ziehen viele weg aus dem Casting-Bezirk, die Mieten sind zu teuer, die Kitaplätze zu knapp, in den Geschäften gibt’s weder Milch noch Brot, sondern jede Menge sinnlosen Schnickschnack. Aber sie hat ja den Job in diesem Laden, einem von fünf derartigen allein in diesem Karree. Und sie hat ihr Kind. Froh ist sie, dass der Sohn schon neun ist, da muss sie mit ihm nicht mehr endlos auf dem Spielplatz hocken. Das, seufzt sie, sei doch die wahre Folter für Eltern, das endlose Warten: auf Spielfreunde, auf Elternfreunde, darauf, dass die Wippe frei wird, darauf, dass es endlich, endlich Zeit fürs Abendessen wird. Jetzt sei der Junge endlich groß genug, sich auch mal selber zu beschäftigen.
Und tatsächlich kann auch ich mich noch gut erinnern, wie ich einst hier auf dem Kollwitzplatz gesessen habe. Knallende Sonne, kein Baum nirgends, Kind im Buddelkasten, Mutter am Rand – es gibt wahrlich Schöneres. Man kann ja nicht mal ein Buch dabei lesen, bei der kleinsten Unaufmerksamkeit könnte dem Kind was passieren. Dann dieses gegenseitige Belauern der Eltern, das leicht verkniffene Lächeln und das verlogene »Macht doch nichts«, wenn das eigene Kind mal wieder in Verletzungsabsicht seine Schippe gebraucht hat. Wir waren Frauen, die einander alle vom Sehen kannten, aber nur ganz selten ins Gespräch miteinander kamen. Wozu auch? Worüber sollten wir reden? Wir beäugten uns gegenseitig und taxierten, welche von uns die schwerste, die teuerste, die aggressivste Lederjacke hat. Das coolste Fahrrad, das abgefahrenste Kind. Wir waren alle so wahnsinnig erschöpft.
Ich mache mich auf ins Wegwarte-Haus. Auf Wiedersehen, du aufrichtige Verkäuferin, danke für die ehrlichen Worte und guten Umsatz noch! Ich schiebe mein Rad am Kollwitzspielplatz vorbei. Knallende Sonne, kein Baum nirgends, Kinder im Buddelkasten, Mütter am Rand. Alles wie immer. Was bin ich froh, hier weggezogen zu sein. Etwas Besseres als das hier habe ich allemal gefunden.
I m Biomarkt oder
A ugen auf beim Waffelkauf!
J eden Morgen um fünf wird es mächtig laut vor meinem Wegwarte-Fenster. In aller Frühe rumpelt und pumpelt es die Straße herauf – das sind die Lieferfahrzeuge, die die zahlreichen umliegenden Bioläden ansteuern. Diese Autos verfügen nicht nur über einen lauten Dieselmotor, sondern wegen der unbedingt einzuhaltenden Kühlkette auch über äußerst lärmige Klimaanlagen. Ich weiß natürlich, dass die gute Biokost hier besonders gern und reichlich gekauft und zeitig angeliefert wird, und deshalb schließe ich verständnisvoll das Fenster und dreh mich noch mal auf die Seite.
Gesunde und korrekte Lebensmittel sind hier sehr wichtig. Vergleichbar dem Berlin vor hundert Jahren, als die Kartoffeln und Äpfel, die Ziegelsteine und das Leinen noch auf Kähnen und Pferdefuhrwerken vom Brandenburgischen in die deutsche Hauptstadt geschippert und getreckt wurden, sind es heute die Lkws, in deren Bauch all die guten Dinge herbeigeschafft werden. Milch von Kühen, die mit Namen angesprochen werden, Eier von Hühnern, die ihrem Legeauftrag in
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