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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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krachende Fliederdolden und jede Menge Giersch, das unausrottbarste Unkraut, das es gibt. Unerbittlich zieht es mich beim Gedanken an die grüne Pracht nun in die frühlingsgeschwängerte Heimat. Und ich fahre los.
    Man sieht es schon in der S-Bahn. Je weiter auswärts die Fahrgastgemeinschaft reist, desto klarer treten die sozialen Strukturen dieser Stadt, ihrer Bewohner sowie der Umlandanrainer hervor. In der City sieht man noch Hipster und coole Mütter, in den Außenbezirken steigen die Barbour-Jacken-Träger mit Manufakturfahrrädern und TÜV -geprüften Helmen aus. Was dann noch weiterreist, das sind wir Brandenburger. Erschöpfte Niedriglöhner in Takko-Klamotten, die Frauen haben seltsam verwuschelte Dauerwellfrisuren, die Männer zischen ihr Feierabendbier und blättern in der Bild -Zeitung. Wir mögen das, wir genießen die Ruhe in der ruckelnden Bahn und freuen uns auf unsere Gärten.
    Angekommen, schaue ich mich nach einem kalten Winter im Prenzlauer Berg auf meinem vernachlässigten Grundstück um. Tatsächlich, alles Werden und Vergehen vollzieht sich wie in jedem Frühling. Ein Lavendel ist erfroren, auch eine Rose. Aber die Johannisbeeren haben schon stecknadelgroße Beerendolden angelegt, und die Himbeersträucher haben unterirdische Triebe gebildet, die der effektiven Ernte abträglich sind und deshalb von mir brutal gekappt werden. Ich hocke mich ins Beet und rufe mit der Gartenschere drei Stunden lang die Natur zur Ordnung, anschließend binde ich die Triebe hoch – jetzt könnt ihr wachsen, liebe Himbeeren.
    Dort zu knien, den schreibtischfaulen Rücken zu spüren, den Wind in den Haaren und den märkischen Sand zwischen den Zähnen – das ist das Glück in Tüten. Und auf keinen Fall etwas, was sich im innerstädtischen Raum erleben ließe. Außer natürlich, man arbeitet beim Grünflächenamt. Klar sieht man im Prenzlauer Berg sensationell bepflanzte Balkone. Sicher gibt es auch umwerfende Dachterrassen – aber die sieht ja keiner außer den Besitzern, und mehr als hundert Quadratmeter wird wohl kaum eine davon messen. Nein, das Wühlen in der Erde, das Hinundherlatschen zwischen Kompost, Keller und Beet, das Weiträumige und Müßige, das alles sind Dinge, die ich so nur zu Hause finde.
    Denn zu Hause ist das hier inzwischen tatsächlich geworden. Auch ohne guten Latte macchiato to go, Sushi-Restaurants und Spätverkaufsstellen. Dass dies hier der zu mir passende Ort ist, diese Erkenntnis kommt mir mal wieder beim Grubbern im Gemüsebeet. Eine Erkenntnis, für die ich Jahre gebraucht habe. Denn machen wir uns nichts vor, der Wegzug vom Prenzlauer Berg in die brandenburgische Pampa war ein soziales Experiment, an dessen Erfolg ich immer wieder aufs Neue gezweifelt habe. Sei es, weil Ende der Neunzigerjahre dieses platte, karge Bundesland über ein handfestes Neonaziproblem verfügte. Weil ich arrogante Großstädterin befürchtet hatte, dass in Sachen Kita und Schule hier noch der DDR -Volksbildungsministerin Margot Honecker gehuldigt würde. Oder weil meine brandenburgischen Grundstücksnachbarn gartenfaschistoid Tulpen und Rosen in Reih und Glied zwischen Waschbetonwege pflanzen würden.
    Tatsächlich war alles genau so, wie ich es befürchtet hatte. Und doch wieder ganz, ganz anders – wie eigentlich immer, wenn Vorurteil auf Wirklichkeit trifft. Die Glatzen mit den Stecknadelaugen gab und gibt es tatsächlich, sie waren und sind furchterregend. Jedoch sind sie bei Weitem nicht so viele, dass der Wochenendbesuch aus der Stadt ihrer ansichtig würde und deshalb immer mal wieder nachfragt, wo denn nun hier die Nazis blieben. Kitas und Schulen waren genauso schlecht und gut wie in Berlin, aber wie überall in diesem Land gibt es ja die Möglichkeit zu wechseln. Und die Nachbarn? Die sind okay. Irgendwann entwickelte ich eine absolute Gleichgültigkeit ihren Vorstellungen von geordneten Gartenverhältnissen gegenüber. Was geht mich das an? Sie halten sich ja auch mit ihrer Meinung zurück, wenn bei mir mal wieder der Rasen zu versteppen droht. Jeder nach seiner Fasson, das hat schon der Alte Fritz gesagt, und so halten wir Brandenburger es immer noch miteinander.
    Und weil eben dieser Rasen dringend eines Schnittes bedarf und mein zwölf Jahre alter Mäher nur noch unter stotterndem Getöse seinen Dienst versieht, mache ich mich auf in das soziale Zentrum jeder Kleinstadt: den Baumarkt. Was im Prenzlauer Berg der Spielplatz oder der Biomarkt ist, das ist hier die Welt der praktischen Dinge.
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