Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Familien nach Hause trecken und das Straßenbild freigegeben wird – dann ist da, anders als früher, einfach nicht mehr viel los.
Na gut, man kann noch ins Kino gehen oder was essen. Und mittwochs geht in der Marietta-Bar die Schwulenparty ab – noch, muss man sagen. Nach zweiundzwanzig Uhr wurde schon mehrmals von ruhebedürftigen Hausbewohnern Wasser auf die feiernde Gemeinde geschüttet. Aber sonst? Die Klubs schließen einer nach dem anderen, weil sie weggeklagt werden. An den Kneipentüren hängen »Pssst nach 22 Uhr!«-Schilder, und wenn mal eine Hostelhorde auf Klassenfahrt die Kollwitzstraße runterlärmt, wird gleich die Polizei gerufen. Was ist hier los?
Kleinstadt ist hier los, Provinz. Ich bin aus der Kleinstadt in den Prenzlauer Berg gekommen und kann mir gut vorstellen, wie sich das weiterentwickeln wird. Gut zuhören jetzt! Also, derzeit sind ja hier alle in der Reproduktionsphase. Alle kriegen und erziehen gleichzeitig Kinder und gestalten passgenau dazu ihr Umfeld, Spielplätze, Kitas, Hebammenpraxen und Kinderboutiquen bis zum Abwinken. Verkehrsberuhigung, ganz allgemeine Komplettberuhigung, die nicht beeinträchtigt werden darf von Fremden – also von Nichtkinderhabern, Jugendlichen, Unsolventen, schlecht gekleideten Rentnern, Migranten, Störern. Wenn dann doch einmal Fremde die gut geölten Abläufe stören, werden sie entweder ein klein bisschen diskriminiert und gemobbt oder angezeigt. Also: Klagen wegen Lärm, wegen Ruhestörung und Beeinträchtigung. Das heißt dann Bürgerinitiative.
In etwa zehn Jahren wird es dann so weit sein. Die Eigentumswohnungen, Lofts und Townhouses sind nun abbezahlt, aus den Bürgerinitiativen sind Einkaufsgenossenschaften und Kunstvereine geworden, Störer gibt es hier schon lange nicht mehr – denen ist der Prenzlauer Berg einfach zu langweilig geworden. Jetzt könnte alles so schön sein.
Aber leider sind die Eltern jetzt alt und ihre Kinder Jugendliche, die einander einfach nicht mehr verstehen. Die gentrifizierten Jungspunde machen ihre ehemaligen Spielplätze kaputt, klauen in den Biofeinkostgeschäften Trüffelsalami und betrinken sich im öffentlichen Raum mit Lammsbräu. Oder, wenn sie fertig mit der Schule sind, gehen sie nach Tirana oder Manila zum Studieren, weil es dort, wie sie sagen, noch echte Armut gibt. Kinder aus Kleinstädten sind dazu verpflichtet, diese in aufrührerischer Absicht und der unerträglich geordneten Verhältnisse wegen zu verlassen.
Ihre Eltern bleiben ratlos zurück. Sie sind doch damals hierher in den schönen, sauberen Prenzlauer Berg gezogen, damit es ihre Kinder besser haben als sie einst in ihrer so engen Kleinstadt. Und das ist jetzt der Dank? Ja, das ist der Dank. Die Prenzlauer Berger werden sich warme Gedanken machen müssen, wie es für sie hier mal weitergeht in ihrem aufgeräumten Bezirk. Alle Kneipen und Cafés schließen schon frühzeitig wegen der Lärmbelästigung. Und Häuschen im Umland gibt’s keine mehr.
Ein letztes gemeinschaftsstiftendes Abenteuer könnten dann Projekte sein, bei denen die verlassenen Spielplätze zu Community Gardens umgewidmet werden. Aus den vielen Kitas, durch deren ökosanierte Räume der Wind fegt, könnten die alten Eltern Erzählcafés machen. Da könnten sie sich treffen und einander berichten, wie abenteuerlich es hier mal war, als sie damals hergekommen sind, wie schnucklig die Reproduktionsphase verlaufen ist und dass es damals – man glaubt es kaum – tatsächlich ein Wirtspaar gab, das Ärger gekriegt hat, weil es ein Zimmerchen abgeteilt hat für Ältere, zu dem Kinder keinen Zutritt hatten. Boah, das war vielleicht mutig. Verrückte Zeit! Aber leider vorbei.
E del wie Phorms oder
D ie glückliche Heather
Z ugegeben, meine Kinder machten und machen ein Brandenburger Bauernabitur. Also eines, bei dem sie schon eine ganze Menge lernen, wie ich finde. Doch es ist ein Abi, das sicher nicht so toll ist wie das ihrer Altersgenossen von der Phorms-Schule. Diese Privatschule gibt es seit fünf Jahren, sie stellt quasi den Porsche Cayenne unter den Bildungsinstituten dar. Bilingualer Unterricht, kleine Klassen, Ganztagsbetreuung, Macs in den Klassenzimmern und neuerdings auch eine Kleiderordnung, die vorsieht, dass sich Schüler und Lehrer in den Schulfarben Rot und Schwarz kleiden. Das passt, Phorms gilt als konservative Kinderschmiede, in die vorn kleine Großstädter reingesteckt werden und aus der hinten leistungsorientierte Opinion leader rauskommen.
Ich tue
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