Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
mal so, als hätte ich noch ein Kind im Vorschulalter vorzuweisen und besuche den Informationstag für Eltern. Vierzehn Erwachsene sind wir, die sich in der Schulkantine treffen – dass ich auf Nachfrage angebe, eine vierjährige Tochter zu haben, die kommendes Jahr eingeschult wird, wundert überhaupt gar niemanden. Wir befinden uns hier im Solvente-ältere-Eltern-Bereich, da wäre so eine späte Geburt nicht weiter verwunderlich. Bis zu 1000 Euro monatlich kostet der Schulbesuch bei Phorms, und dass das für manche der Zuhörer völlig in Ordnung ist, sehe ich an den Budapester-Schuhen, den Maßanzügen der Väter und den leise klickernden BMW -Autoschlüsseln in den manikürten Händen der Mütter. Wer sein Kind bei Phorms anmeldet, hat einfach die Kohle und gut. Pures Upper-class-Understatement.
Zunächst einmal erläutert eine rot-schwarz gewandete Lehrerin das Phorms-Konzept. Von Anfang an wird zweisprachig auf Englisch und Deutsch gelernt, sagt sie, in den Klassen sind nicht mehr als zweiundzwanzig Schüler, die von zwei Lehrern unterrichtet werden, und – ein Hauptgewinn, wenn beide Eltern arbeiten gehen – der Laden ist von morgens bis abends geöffnet. Kommen die vielversprechenden Phorms-Schüler heim, ist alles erledigt, was Eltern kostenfreier Schulen schier um den Verstand bringt: Hausaufgaben, Übungen, Musik, Sport oder die Arbeitsgemeinschaft für die dritte Fremdsprache.
Die rot-schwarze Frau reicht uns dezent gestaltete Faltblätter, die neben den deutschen und englischen Texten Fotos von Kindern an Mikroskopen und Laptops zeigen. Die Botschaft ist klar: Da draußen wartet ein Dschungel auf dein Kind, auf den es optimal vorbereitet sein sollte – wir ziehen das mit euch durch. Yeah. Um Weltläufigkeit und Exklusivität zu kommunizieren, spricht die rot-schwarze Frau andauernd von »unserer Schule, hier am Standort Berlin-Mitte«.
Nichts für ungut, aber das stimmt so nicht. Die Schule befindet sich keineswegs im angesagtesten Ausgehbezirk der Hauptstadt, sondern bereits im Wedding, dem nach Neukölln unangesagtesten Bezirk. Klar, wer will schon für 1000 Euro das Bildungsgesamtpaket buchen, um dann doch festzustellen, dass sein Kind in einer Problemgegend beschult wird. Mit derlei Sorgen will uns die Geschäftsführung nicht belasten und schummelt deshalb ein bisschen bei den Adressangaben. Frau Schwarz-Rot zupft an ihrem breiten Naturseidenschal und zündet nun die nächste PR -Stufe. Von »Skills« ist jetzt die Rede, von »learning support«, von »parent-teacher-conferences« und von »zwei Sprachen, die nur der Anfang sind«.
Tatsächlich können die Master von morgen nach der Grundschulstufe noch Spanisch, Chinesisch oder Japanisch dazuwählen, und wenn sie dann noch Kraft haben, kommen Klavier-, Gitarren- oder Geigenlehrer sowie Judo-, Aikido-, Yoga- und Schachtrainer ins Haus und formen aus Kindern Großmeister. Nie mehr müssen die Eltern ihre Kinder zur Musikschule oder in den Sportverein bringen, nie mehr müssen sie aufpassen, dass Claudius oder Heather üben – das wird alles bei Phorms erledigt. Selbst Scheitern ist im Konzept berücksichtigt. Hier bleibt niemand sitzen, hier wird das »Reifung« genannt.
Ich merke, wie ich sauer werde. Wie das realsozialistisch konditionierte DDR -Bürgerlein in mir wach wird. Muss das denn sein, quengelt es sauertöpfisch – der ganze Luxus, das Anspruchsvolle und Elitäre? Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner? Es brodelt in mir, und es dauert eine ganze Weile, bis ich klar erkenne, was da in mir vorgeht. Ich bin neidisch, ja. Weil ich hier, in der kühlen Aula der Privaten Phorms-Schule, sehr eindrücklich vor Augen geführt bekomme, wie gut Schule sein kann. Aber eben nur für die, die es sich leisten können. Und weil ich weiß, wie meine eigenen Kinder Schule erlebt haben. Nämlich als Angelegenheit, die so gut und unbeschadet wie möglich hinter sich bringen sollte.
In der Grundschule fing es an. Da besuchten beide Kinder eine Einrichtung, die von bösen alten Frauen regiert wurde. Eine von ihnen, die Klassenlehrerin meiner großen Tochter, brachte es fertig, ihren Schülern zu erklären, dass sie ihre Herpes von den dreißig kleinen Scheißern in den Schulbänken hätte, die sich nicht ausreichend waschen würden, weshalb sie sich Tag für Tag ekeln müsse. Beim Elterngespräch trafen wir dann auf eine Frau, die von Erscheinungsbild und Sprachgebrauch her eher den Eindruck machte, die Putzfrau dieser Schule zu sein, und die uns
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