Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
hier ist jetzt alles unseres. Was wäre daran bitte neu? Genauso ist es ja längst. Dennoch scheint irgendwas nicht so recht geklappt zu haben mit dem Immobilienbusiness. Es stehen noch Wohnungen zum Verkauf, und sogar einmieten kann man sich mittlerweile.
Die Lage ist ziemlich klar: In einem Bauprojekt wie diesem, das einen derart schlechten Ruf in der Gegend genießt, kauft keiner die Wohnungen und Lofts zur Straße hinaus. Denn da leben ja echte Menschen mit echten Leben und möglicherweise – man möchte gar nicht so genau drüber nachdenken – mit weniger Geld als man selbst. Und die könnten doch darauf kommen, Farbbeutel zu werfen oder den Cayenne zu zerkratzen. Wohnungen, aus denen man all dessen ansichtig werden könnte, verkaufen sich nicht. Und so kommt es, dass man sich jetzt einmieten kann. Aber will man das?
In der Musterwohnung wartet der schöne Gideon. Gideon öffnet mir die Tür und führt mich herein. Er duzt mich und schaut mich aus bemerkenswert grünen Augen an. Was mir denn so vorschwebe, fragt Gideon. Ich fasele was von kleiner Citywohnung für Berufspendler. Gideon schiebt mir die Preisliste und den Lageplan herüber. Hier ist noch was frei, da schon was reserviert, Eichenparkett, Bulthaup-Küche sind inklusive, Tiefgaragenplatz 120 Euro. »Und was ist mit Kindern«, frage ich, »wo spielen die hier?« Gideon zeigt auf das gesamte Areal. »Kinder können hier überall spielen«, erklärt er mit raumgreifender Geste, »erst hatten wir zwei Spielplätze geplant, aber dann haben wir entschieden: Die Kleinen sollen hier ihre Freiheit genießen.« Darauf ich: »Ach so? Mich stören Kinder aber eher, ich zahle hier eine Menge Geld, da will ich meine Ruhe.« Gideon ist jetzt ein bisschen ratlos. Auf solche Kundinnen haben sie ihn beim Verkaufstraining nicht vorbereitet. Er tut das Naheliegende und rät mir zu einer weit oben gelegenen Wohnung: 65 Quadratmeter für 14,50 Euro Kaltmiete. Ich lächle, packe die Tabellen und Lagepläne ein und verspreche, mich wieder zu melden. Trotzdem lächelt er beim Abschied.
Draußen im Hof schaue ich mich noch einmal um. Das Ensemble sieht aus wie ein zu eng bebauter All-inclusive-Ferienclub, dicht an dicht reihen sich die Balkone und Loggien, schmale Wege teilen den schattigen Hof. Noch wohnt kaum jemand hier, aber wenn, wird es hier hallen und schallen, die Eigentümer werden einander weitaus besser kennenlernen, als sie das je vorhatten. Und wenn dann noch durch das kleine Millionärsdorf eine Kinderhorde marodiert, liegt der Gedanke nahe, dass hier zu wohnen ungefähr so schön ist wie in der Marzahner Platte. Da weiß man wenigstens vorher, was einen erwartet. Und spannender und billiger ist es da allemal.
Wer bist du? oder
Die Westlerin in meinem Kiez
Gut sieht sie aus. Weiße Hose, cremefarbene Bluse, das kastanienfarbene Haar leuchtet in der hereinbrechenden Vormittagssonne. »Wer bist du?« heißt ihre Galerie, ein langer schmaler Raum, in dem ihre Bilder hängen. Sie erzählt, wo sie fotografieren gelernt hat und dass ihr Studio nicht hier, sondern bei ihr zu Hause ist. Dort lassen sich die Bewohner des Prenzlauer Bergs von ihr porträtieren – diese Frau muss wissen, wie sich die Menschen hier fühlen. Sie schaut ihnen Tag für Tag ins Gesicht.
Ich würde nirgendwo anders leben als hier, das sage ich Ihnen ganz klar. Im Prenzlauer Berg gibt es vielleicht zehn Straßen, in denen ich wohnen möchte, zehn Straßen in einem ziemlich engen Radius – wenn ich hier nicht schon meine Wohnung hätte, müsste ich mir eine suchen. Als ich vor zwölf Jahren herkam und mir unser Dachgeschoss im Rohbau angeschaut habe, musste ich weinen vor Glück. Ich wusste: Jetzt bin ich angekommen. Und dieses gute Gefühl ist geblieben all die Jahre.
Es gibt so unsagbar blöde Klischees über den Prenzlauer Berg, die ärgern mich. Klar, man kann die bedienen, ich bediene sie ja scheinbar selbst. Ich bin aus dem Westen, ich habe eine Dachgeschosswohnung und bin Fotografin mit einer kleinen Galerie mitten im Touristenviertel. Da treffen alle Vorurteile über die neuen Reichen zu, nicht wahr? Aber so einfach ist es eben nicht. Die Bezeichnung »neue Reiche« erscheint mir im Zusammenhang mit meiner Familie einfach nur komisch. Ein Lehrer und eine Spätstudierende mit drei Kindern, die sich allen Warnungen zum Trotz mit dem Kauf einer Berliner Dachgeschosswohnung dem finanziellen Dauerstress verschrieben haben. Bis heute jammern meine Kinder, dass nie Geld da ist, dass
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