Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
nicht daran schuld, wenn Eltern ihre Kinder nicht etwa in einer verkehrsarmen Ecke im Park Fahrradfahren oder skaten lernen lassen. Sondern schön sichtbar und maximal behindernd auf dem frisch verfugten Bürgersteig der Kollwitzstraße.
Unter großem Gejauchze und Getöse schettert gerade ein Ein-Meter-Fahranfänger auf mich entgegenkommende Fußgängerin zu. »Der wird doch nicht! Du wirst doch nicht?«, kann ich gerade noch denken – da wummert er auch schon direkt vor mir aufs Pflaster.
Alarm! Ein Kind ist hingefallen! Der kleine Pablo ist nicht verletzt. Aber mächtig erschrocken. Zwei Sekunden nach seiner harten Landung auf den schönen neuen Granitplatten fängt er an zu weinen. »Mensch, du kleiner Kerl!«, sage ich zu ihm und beuge mich runter, »bist du hingefallen?« Doch Pablo kommt nicht dazu, mir zu antworten. Denn nun ist auch seine Mama eingetroffen, die sich zwischen uns drängt, ihren Sohn auf den Arm nimmt, ihn fest an sich drückt und auf ihn einredet: »Ogottogottogott, Pablochen, hast du dir sehr wehgetan? Ist dir die Frau ins Fahrrad gelaufen, hm?«
Ich weiß, was sie fühlt: Ihr Schätzchen hat sich wehgetan. Aber das heißt ja noch nicht, dass ich daran schuld bin, und deshalb stottere ich wie ein ertapptes Kind: »Ich hab doch nichts gemacht.« Nach einer ziemlich kurzen Denkpause erwidert sie: »Na das hab ich gern: Das Kind behindern und dann nicht mal entschuldigen.« Ich tue, wie mir geheißen, entschuldige mich und trolle mich nun zügig. Ehrlich, ich habe nichts gemacht, der kleine Troll ist einfach in mich reingesaust. Hinter mir schmäht mich lautstark die Frau, solche wie ich würden hier die Sicherheit gefährden, und ob ich es für angemessen hielte, dass nun schon die Kinder gucken müssten, wo sie hinfahren … Du lieber Himmel, ist das gefährlich und anstrengend, hier einfach von A nach B die Straße runterzugehen! Und da, was kommt da auf mich zu? Ein kleines Mädchen auf seinem pinken Rad, den Helm schön tief ins Gesicht gezogen. »Die wird doch nicht! Du wirst doch nicht?«
E igentum verpflichtet oder
D ann doch lieber in Marzahn wohnen
I nteressiert stehen die beiden da: Vater und Sohn. Beide – der Große das Fahrrad haltend, der kleine im Kindersitz – schauen zu, wie ein Bauarbeiter fein säuberlich die Fahrbahnmarkierung aufträgt. Sie werden Zeugen, wie eine viel befahrene Durchgangsstraße zur Fahrradstraße umgewidmet wird. Entsprechend riesig fällt das Fahrradzeichen aus, das der kundige Werktätige da auf den Asphalt aufträgt.
Die beiden genießen den Augenblick. Das sollten sie auch, denn hier geschieht gerade etwas ganz Seltenes: Eine gute stadtplanerische Idee wird ins Werk gesetzt, und das ist im Prenzlauer Berg eher selten. Ansonsten nämlich fällt die Bauverwaltung eher dadurch auf, viele Straßen und Wege gleichzeitig zu sperren, aufzureißen, zuzuschütten, um sie Wochen später unter Salutschüssen wieder für den Verkehr freizugeben. Wenig später werden sie erneut gesperrt und aufgerissen. Um den Leidensdruck für die Bewohner des Bezirks noch ein bisschen zu erhöhen, werden die Umleitungen dann so festgelegt, dass man selbst mit den besten Ortskenntnissen und dem aktuellsten Navi irgendwann unrettbar verloren ist.
Wenn ich da draußen sehe, dass wieder einmal unverhofft und wie von Zauberhand eine wichtige Straße gesperrt wurde, denke ich voller Zuneigung an die Bauverwaltung meiner Kleinstadt. Wenn da mal für drei Monate eine Hauptstraße »grundhaft erneuert wird«, bekomme ich im Amtsblatt erklärt, wann es losgeht mit der Störung meiner Abläufe, wie lange das Ganze dauern wird, was es kostet und welche Umleitung man für mich vorgesehen hat. Wird der Zeitplan nicht eingehalten, muss sich der Bauleiter in der Lokalzeitung öffentlich erklären. Und wird der Termin doch gehalten, kommt am Schluss der Bürgermeister, schneidet ein Band durch und dankt den Anliegern für ihre Geduld.
Ja, so ist das in der Provinz. Und obwohl auch der Prenzlauer Berg im Grunde eine Kleinstadt ist, gehört es hier offenbar zum guten Ton, dass die Verwaltung die Bürger gern ein bisschen leiden lässt, ihnen die Straßen versperrt, ohne vorher Bescheid zu sagen, sie umständliche Wege zurücklegen lässt und – vor allem – ihnen nicht erklärt, warum etwas passiert, wie lange es dauert und wer das Ganze letztlich bezahlt.
Wenn dann die Fußgänger und Radler, die Lieferfahrzeuge und Privatautos sich einen Weg durchs frisch verwirrte
Weitere Kostenlose Bücher