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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Maier
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Straßenlabyrinth zu bahnen versuchen, fällt ihnen im Stau möglicherweise ein Schild auf, das sie noch nie zuvor gesehen haben. In einem rot umrandeten Warndreieck erkennen sie ein Haus, aus dem gerade in hohem Bogen ein Männchen rausfliegt. Nein, hier wird nicht vor Rutschgefahr in frisch gebohnerten Hauseingängen gewarnt – dieses Schild ist ein ziemlich intelligenter Protest gegen die Verdrängung der alteingesessenen Bewohner durch immer höhere Mieten, steigende Immobilienpreise und durch Leute, die sich all das leisten können und trotzdem noch Zeit und Geld für Milchkaffee haben.
    Angebracht ist das Schild direkt vor einem der umstrittensten Immobilienprojekte der Gegend. Die Choriner Höfe sind in eine relativ schmale, dafür aber sehr, sehr tiefe Baulücke geklotzt worden. Verkaufsmotto: »The fine art of living«. Mag sein, dass die Bewohner sich an die ewigen Gerüste wegen der Fassadensanierungen gewöhnt haben, an die riesigen Kräne für die Dachgeschosswohnungen, sogar an die Dixi-Klos, deren pestilenzartigen Gestank niemand einfach ignorieren kann. Aber The fine art of living ? Sind wir hier an der 5th Avenue, oder was? So ein bisschen abgeschabt soll es im Bezirk schon bleiben – da stört allzu offensiv zur Schau gestellter Reichtum.
    Und tatsächlich, 3500 Euro kostet ein Quadratmeter fine art , und wer living mit der Loftwohnung im sechsten Stock verbindet, zahlt auch schon mal sechseinhalbtausend für die Größe einer Tischdecke. Das mag für die Eltern aus Schwäbisch-Gmünd, die die Immobilienpreise in der Stuttgarter Innenstadt parat haben, noch okay und halbwegs bezahlbar sein. Was aber das Projekt so unbeliebt macht, ist die zur Schau gestellte Schnöseligkeit, das hemmungslose Abschotten gegen die anderen in Gestalt von Türstehern, Videoüberwachungsanlagen und Bildtelefonen an der Klingelanlage. Und das in einer Gegend, die längst wohlhabend ist, in der man aber gesteigerten Wert darauf legt, das schön protestantisch nicht so raushängen zu lassen. Letztlich bedeutet das Drehen an der Schnöselschraube, dass selbst die Zugezogenen irgendwie unterklassig sind für Leute wie jene, die sich in die Choriner Höfe einkaufen. Eine große nachbarschaftliche Beleidigung!
    Um so größer ist die Häme, als endlich mal jemand was unternimmt gegen diese Neuen im Kiez. »Sie sind herzlich eingeladen!«, steht auf dem Flyer, den die Nachbarn der Choriner Höfe in ihren Briefkästen gefunden haben. Eine nette Geste, mit der man sich bei den Nachbarn für den Lärm und den Staub, für die Behinderung des Buggy-Verkehrs und den frühmorgendlichen Lärm des Steinschneiders während der Bauphase erkenntlich zeigen möchte. Nichts für ungut. Aber dann – nach der Einladung zu Champagner und gemeinsamem Kennenlernen – kommt’s: »Einige nicht sanierte Häuser in unserer gemeinsamen Nachbarschaft passen jetzt nicht mehr in das neue, gehobene Erscheinungsbild unserer Straße. Deshalb haben wir uns im Sinne der guten Nachbarschaft bereiterklärt, die unansehnlichen Gebäude zu erwerben und stilgerecht zu sanieren.« Dabei, so geht es weiter im Text, wolle man die jetzigen Mieter nicht mit dem Problem der höheren Mieten allein lassen. »In naher Zukunft entstehen neue qualifizierte Arbeitsplätze für Servicekräfte in den Bereichen Security, Facility Management, Gastronomie, Grünanlagenpflege und Housekeeping.« Im Klartext: Wenn ihr hierbleiben wollt, wird’s teuer, aber ihr könnt euch bei uns ’ne Mark dazuverdienen – wir brauchen Gesinde: Diener, Gärtner und Aufpasser.
    Am Ende des Briefes wird den Leuten im Kiez auch noch mit der Enteignung des identitätstiftenden öffentlichen Platzes gedroht, und zwar mit dem Mittel der Bürgerbewegung: »Die Familien und Käufer haben eine Kinderspielplatz-Initiative gegründet und freuen sich über eine rege Teilnahme aus der Nachbarschaft. Die Zukunftsvision ist ein sicherer, abgeschirmter Spielplatz auf dem Areal des Teutoburger Platzes, exklusiv für Mitglieder der Initiative. Ziel ist es, die Kontakte unserer Kleinsten untereinander zu stärken und Sicherheit vor unkontrollierten Einflüssen zu gewährleisten. Pädagogisch geschultes, mehrsprachiges Personal wird für die Betreuung unseres Nachwuchses sorgen. In unsere Kinder investieren heißt, in unsere Zukunft investieren. Wir freuen uns auf Sie!«
    Es hat ein bisschen gedauert, bis auch dem Letzten auffiel, dass die Einladung zum Schampus ein Fake war, in dem stand: Verpisst euch, das

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