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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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Rücken, er schüttelte sich in Fieberfrost.
    – Ich verehrte, ich liebte bis zum Wahnsinn deine Liebe. Ich zitterte, um nur einen Brief von dir zu bekommen. Und wenn ich ihn bekommen hatte, las ich ihn und las unaufhörlich. Ich las das alles, was du nicht schreiben konntest, was aber in jedem Worte zitterte, ich ging wochenlang mit deinen Briefen umher damals schon, als ich noch nicht ahnte, dass du mir das werden solltest, was du mir heute bist. O, ich liebe jedes Wort von dir, ich liebe deine grausame Seele, die nicht genug Schmerzen finden kann, um sich darin zu vergraben, ich liebe dein kleines, braunes Gesichtchen mit den abgründigen Augen, ich liebe die Seide, die deinen Körper umschließt, ich liebe die Formen dieses Körpers, ich fühle ihn, wie er sich an mich presst, mich umschlingt, ich sehe deine kleinen Brüste, ich fühle sie sich in meinen Körper hineinglühen. Ich … ich …
    Er fing an zu stottern. Es raste in ihm, sein Gehirn schwoll an zu einer riesigen Aderbeule. Dann begann er wieder zu sprechen, sinnlos, ohne Zusammenhang, die Worte kamen wie von selbst, glühend, krank, wie herausgeschleudert aus einem Vulkan.
    Sie hielt seine Hand in stummem Krampf umschlossen, sie vergrub schmerzhaft ihre Finger in seine Haut. Sie fasste ihn um’s Handgelenk und presste wieder seine Finger: Es war wie ein irres Gejauchze in dieser taumelnden, flackernden Hand.
    Da wurde sie plötzlich grenzenlos unruhig. Sie hörte nichts mehr, sie sah nichts mehr. Sie faltete die Hände, dass alle Gelenke knackten, dann ballte sie die Fäuste und spreizte wieder die Finger.
    – O Gott!, stöhnte sie keuchend.
    Jäh rückte sie weg.
    – Sag’ jetzt kein Wort mehr, schrie sie auf, kein Wort! Ich gehe – ich gehe sofort, wenn du nur noch ein Wort sagst.
    Er sank zusammen.
    – Nein, nein, ich will nichts mehr sagen. Ich kann auch nicht mehr, murmelte er müde.
    Ein Schweigen, ein tötendes Schweigen, das langsam einen Nerv nach dem andern zersägte.
    – Komm!, sagte sie endlich und stand auf.
    – Wohin?
    – Ist es dir nicht gleichgültig, wohin du mit mir gehst? Sie lachte ihn höhnisch an. Du willst ja nur mit mir zusammen sein.
    – Aber nur mit dir! Nur mit dir allein! Ich habe Ekel vor Menschen, ich mag keinen Menschen sehen. Ich spucke auf die Menschen! Ich kann die menschliche Fratze nicht ausstehen.
    – Komm!, sagte sie mit hartem Befehl.
    Er sah sie erstaunt an, blieb eine Weile sitzen, starrte sie unaufhörlich an, dann erhob er sich und ging.
    – Es hat mir noch kein Mensch etwas befohlen, sagte er leise auf dem Wege. Kein Mensch. Ich wusste bis jetzt nicht, was gehorchen heißt, bis du jetzt plötzlich sagtest: Komm! Und ich gehorche …
    Er lachte boshaft auf.
    – Und du willst mir vorlügen, dass du mich nur als Schwester liebst? Du liebst mich ja nur als Weib! Du hast ja nur gewartet auf das Wort: Ich liebe dich! Und gleich bist du wie verwandelt. He, he: Du weißt jetzt, dass du mir befehlen kannst, was du früher nicht wagtest. Woher diese Instinkte, die nur ein liebendes Weib hat, woher dies feine Ohr für »ich liebe dich« und seine Konsequenzen? Warum lügst du? Du sehnst dich nach mir, du hast dieselbe rasende Gier, du … du …
    Sie blieb stehen und sah ihn wütend an.
    – Wenn du noch ein Wort sagst, geh’ ich weg.
    Er lachte laut auf.
    – Versuch’ es doch! Geh! Geh! Dir ist es ebenso unmöglich wegzugehen wie mir … Oh, wie du schön bist! Wie dein Gesicht flackert! … He, he, he … Wo hab’ ich nur meine Schwester verloren?
    Er schob seinen Arm unter ihren und presste ihn krampfhaft an sich.
    – Ich muss dich halten. Ich bin nicht sicher, ob du am Ende doch nicht weggehst. Du bist grausam gegen dich. Deine Seele hat wirklich nicht Qual genug, noch lange nicht genug. Du würdest in der Hölle glücklich werden. Und jetzt, jetzt quälst du mich. Du möchtest mich auf die Folter spannen, damit dir nur das Herz an meinen Qualen berstet. Oh je m’y connais [90] : Das ist die höchste Wolllust, aber meine Nerven sind zu schwach dazu …
    Er lachte irre.
    Sie kamen in eine Gesellschaft. Plötzlich. Mit einem Mal. Eine lange Zwischenzeit ging wohl seinem Gehirn verloren. Es wurde ihm nicht klar, wie er so plötzlich hergekommen war.
    Im Nu wurde er nüchtern und kalt.
    Er sprach sehr vernünftig mit einem Herrn, der eine samtene Weste und oben auf dem Vorhemd einen Diamanten hatte. Bei Tisch bekam er zur Nachbarin ein junges, frisches Mädchen, das eine sonderbare Freude am Lachen

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