- Lasst die Toten ruhen
Weil ich deine Schwester bin.
– Du lügst. Daran denkst du nicht einen Augenblick. Du liebst die Qual, du kannst dich nicht genug an deiner und meiner Qual sättigen …
Sie schwiegen lange.
– Hör’, Agaj, ist es … ja – nicht wahr? Du liebst meine Frau sehr.
– Ja.
– Und wenn sie nicht da wäre?
– Vielleicht.
– Vielleicht?
Sie antwortete nicht.
Wieder Schweigen.
– Ich will bei dir bleiben, sie sprach flehend. Ich will immer mit dir zusammen sein, aber nicht allein. Das dürfen wir nicht. Ich bitte dich darum.
– Hast du Angst vor mir?
– Vor mir selbst. Und du liebst mich doch. Kannst du es nicht meinetwegen tun?
– Was denn?
– Du sollst nicht wollen, mit mir allein zu sein, – und … und, sie senkte den Kopf, – du sollst mich nicht mehr berühren. Ich habe einen unaussprechlichen Ekel davor, sagte sie hart.
– Hast du Ekel vor meiner Berührung?
– Ja!
Über seinen Körper rieselte es wie von einer glühenden, zu Perlen zerstäubten Metallmasse. Seine Seele schrumpfte wund zusammen. Er fühlte Scham und Ekel vor sich selbst. Er hatte das Weib berührt, das Ekel vor ihm – vor ihm empfand.
Er kam zu sich. Eine kalte, trockene Klarheit fühlte er in seinem Kopfe, wie Wetterleuchten zuckte wieder der stille Triumph der blutenden befreiten Seele auf.
– Ich danke dir, dass du jetzt endlich ehrlich bist … Du hast recht … Nie werd’ ich mehr darüber sprechen noch dich berühren.
Er sah nur die Krampe ihres Hutes. Ihr Kopf war tief gesenkt und die Hände in den roten Handschuhen weit über den Tisch gestreckt.
– Vielleicht sollen wir den Menschen aufsuchen, den du mir zur Unterhaltung geschickt hast?
– Nein!
– Dann wollen wir andere Menschen aufsuchen.
– Nein!
Lange Pause. Er war ganz ruhig. Sein Fieber war mit einem Mal verschwunden. Er war wie von einem Bann erlöst.
– Nun, sieh doch auf!, sagte er freundlich nach einem langen Schweigen. Jetzt können wir ruhig und vernünftig miteinander sprechen. Jetzt hast du erreicht, was du wolltest. Ja, du kennst mich, du weißt, wie schamhaft meine Seele ist. Meinetwegen kannst du jetzt tausend Menschen aufsuchen. Ich habe auch kein Bedürfnis mehr, mit dir allein zu sein. Übrigens möcht’ ich dir den verfluchten Hut am liebsten vom Kopfe reißen. Diese große Krampe ist sehr bequem … Ha, ha, ha … Nun, Agaj, liebe Schwester, kannst du mit deinem Bruder nicht vernünftig sprechen?
Sie sah plötzlich zu ihm auf.
Er glaubte, Tränen in ihren Augen zu sehen.
– Agaj!, sagte er langsam.
Die Tränen liefen über ihre Backen herab.
– Du weinst?, fragte er kalt und ruhig.
– Nein!, sagte sie rau.
– Du weinst ja, ich sehe es doch! Und ich sitze und zerbreche mir den Kopf, warum du eigentlich weinst. Ich glaube nicht an deine Tränen. Deine Seele ist verlogen. Sie sucht nur krampfhaft nach neuen Martern … Ha, ha, vielleicht hast du die Fähigkeit, zu weinen, wann du willst? Willst du mich mit deinen Tränen kirren?
Sie sah ihn an: Ein Blick, der in würgendem Krampfe schrie. Aber nur einen Moment, im Nu sah er einen wilden Hass aus ihren Augen stechen, zu einem bohrenden, saugenden Licht sich weiten und heiße Brände in seine Seele werfen.
Es dauerte eine Ewigkeit. Dann zersprang gellend das Licht in ihren Augen, ihr Gesicht wurde hart, sie sah vor sich hin, dann starrte sie ihn wieder an mit einem glasigen Ausdruck, und plötzlich schoss der dumpfe Hass wieder auf, sie warf sich ins Sofa zurück.
– Nun! Gott sei Dank ist dein Fieber vorüber, sagte sie mit lachendem Hohn, jetzt kannst du zu deiner Frau zurückkehren und ihr die Erlebnisse mit deiner Schwester erzählen.
– Ja, das werd’ ich.
– Hast du oft dieses Fieber?, höhnte sie. Ich meine: Betrügst du oft deine Frau unter dem Schutze dieses Fiebers?
– Sehr oft. Hier zum Beispiel habe ich ein Mädchen, ein Kind noch, bei dem ich jede Nacht schlafe.
Sie schrie leise auf. Er sah sie mit höhnischer Wut an.
– Hat es sehr weh getan?, grinste er boshaft.
– Du lügst!, schrie sie unterdrückt auf.
– Nein! Wozu sollt’ ich lügen?
– So, so … Warum bettelst du denn bei mir?
– Ich bettle nicht. Hab’ ich gebettelt? Davon weiß ich nichts … Und, und, ich bitte dich um Verzeihung für alles, was vorgefallen ist. Ich empfinde mich so grenzenlos lächerlich. Eigentlich solltest du mich nicht so schmerzhaft beschämen. Nun, ich hoffe, dass deine Seele jetzt vor Freude jauchzt …
Ihre Hände bewegten sich
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