- Lasst die Toten ruhen
letzte Spur verschwunden war und die nun stets in der Nähe der kinderlosen Alten blieb, um mit ihnen über Leodogars Tod zu weinen und sie zu trösten. Es tat den verarmten Herzen wohl, ein teilnehmendes Wesen um sich zu haben, welches mit ihnen um den gleichen Gegenstand trauerte, welches ihren Schmerz würdigte und entfühlte, und vielleicht war es Emilie allein, deren Gesellschaft sie vor Verzweiflung bewahrte.
Als der Domherr seine Anwesenheit bei dem gräflichen Ehepaar entbehrlich glaubte, begab er sich nach Palmensee, um der ferneren verderblichen Wirkung des Vampirs, der seinen Neffen, und, wie zu vermuten war, auch dessen Geschwister gemordet hatte, ein Ziel zu setzen.
Er ließ, durch eine Erlaubnis des Bischofs dazu berechtigt, die Särge des Erbbegräbnisses öffnen und fand in einem derselben einen Körper, an dem noch nicht die geringste Spur der Verwesung sichtbar war, obgleich er mehr als dreißig Jahre hindurch im Grabgewölbe gestanden hatte.
Dieses also war der furchtbare Unhold, der weder dem Leben noch dem Tode angehörte, dem die Rückkehr aus dem schaurigen Reiche der Verwesung gestattet war, um sich mit dem Herzblute der Lebendigen zu nähren und der Jugend frische Blüte zu knicken, um die Zerstörung seines Körpers zu hemmen. Der Prälat ließ einen Pfahl durch die Brust des Ungetüms schlagen, worauf warmes Blut aus der Wunde quoll. Nun wurde der Leichnam verbrannt und dadurch der Fluch vernichtet, den ein dunkles Geschick auf diesen gestorbenen und doch nicht toten Leib gelegt hatte.
Nachbemerkung
»Die Totenbraut« erinnert in gewissen Anteilen an Friedrich Launs »Die Totenbraut«, die erstmals in dem einflussreichen von 1810 bis 1812 erschienenen »Das Gespensterbuch« von August Apel und Laun selbst veröffentlicht wurde. Tatsächlich wird Rauschnik gelegentlich nachgesagt, er sei auf den von Apel und Laun angefahrenen Zug nur aufgesprungen. Dieses kann im vorliegenden Fall aber nur bedingt stimmen, denn weder das Motiv der verleumdeten Gattin noch das der dämonischen Verführerin trat bei Laun zum ersten Mal auf. Gerade bezüglich des Vampirmotivs dürfte Goethes Totenbraut aus dem 1798 erschienenen Gedicht »Die Braut von Korinth« wesentlich einflussreicher gewesen sein.
Auch gibt es erhebliche Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung der Motive. Bei Laun gibt es zwei Totenbräute; in der Binnenerzählung ist es eine verlassene Braut, die aus Kummer stirbt und als Gespenst tödliche Rache am untreuen Bräutigam nimmt, gerade als dieser sich mit einer anderen verheiraten will. In der Rahmenhandlung liegt der Fall etwas anders. Hier ist die Totenbraut eine treulose Braut, die vor Jahrhunderten von ihrem Geliebten in der Hochzeitsnacht getötet wurde. Seither muss sie als Gespenst jungen Liebenden nachstellen und zur Untreue verleiten, die dann wiederum tödlich endet. Dieser Totenbraut gleicht Rauschniks Totenbraut in gewissen Anteilen. Bei Rauschnik ist die Totenbraut nicht uralt, aber mit einem etwa dreißigjährigen Dasein als Untote durchaus etabliert. Ob ein fehlerhaftes Verhalten ihrerseits zum Vampirdasein beitrug, ist unklar; ein Fluch hat sie dazu gemacht. Weiterhin wird die für Vampire typische Lebensgier angedeutet. Beide Momente fehlen bei Laun. Gemeinsam haben die Totenbräute die Notwendigkeit zum sündigen Verhalten des Opfers – bliebe es stark, so wäre es unangreifbar für die Untote. Bei den Opfern gibt es noch eine Differenz. Während Launs Gespenst ganz allgemein unverheirateten Liebenden nachstellt, scheint Rauschniks Vampirin auf die Familie Zellenstein ausgerichtet zu sein.
Auch lohnt sich ein Vergleich mit dem bis dato ältesten erhaltenen Erzähltext mit Vampir: John William Polidoris »Der Vampyr« von 1819, denn Lord Ruthven und Signora Val Umbrosa haben nicht viel gemein. Beide saugen das Blut ihrer Opfer aus deren Brust, legen eine gewisse Lebensgier an den Tag und haben eine Neigung, ihr Umfeld zu verderben. Doch wo Ruthven anscheinend Befriedigung aus dieser Tätigkeit zieht, scheint es bei Val Umbrosa nur Mittel zum Zweck zu sein – sie kann sich nur dann an den Zellensteins rächen, wenn sie in Sünde leben. Wo Ruthven ein echter Adliger ist, täuscht Val Umbrosa es bloß vor. Wo Ruthven vital ist, ist Val Umbrosa ein lebender Leichnam, dessen nekrotische Hässlichkeit dem Sehenden enthüllt wird. Wo Ruthven durch einen banalen Flintenschuss getötet wird und durch ein magisches Ritual neues Leben erhält, ist Val Umbrosa mit normalen
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