- Lasst die Toten ruhen
den modernen Sexpuppen, den Tommaso Landolfi in seiner Kurzgeschichte »Gogols Frau« von 1971 satirisch bearbeitet. Elemente beider Sagen finden sich nun in der Geschichte der belebten Venus-Statue. Meist steckt ein junger Mann seinen Verlobungs- oder Ehering auf die Finger einer Venus-Statue, um den Ring vor Beschädigung zu schützen oder im Scherz. Wenn der Ring wieder abgenommen werden soll, gibt die Venus ihn nicht mehr her. Später fordert sie als belebte Statue den Mann als Gatten ein, was üblicherweise für diesen fatale Folgen hat. Die gelungenste literarische Bearbeitung des Stoffs ist vermutlich die 1837 veröffentlichten Novelle »Die Venus von Ille« von Prosper Méimée. Wer mehr zum Thema erfahren will, mag zu Klaus Völkers zweibändiger Textsammlung »Künstliche Menschen. Dichtung & Dokumente über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen« (Frankfurt am Main 1998) greifen.
Sacher-Masoch erkennt die Ähnlichkeit zwischen den Motiven der toten Schönen und der Statuenliebe und verknüpft beides stimmig mit dem Vampirmotiv. Damit wird das Vampirmotiv freilich kaum weiterentwickelt. Es bleibt bei der durch das Mondlicht wiederbelebten Toten, die Blut, Leben und Seele ihres Opfers saugt, um in ewiger Jugend und Schönheit zu leben. Interessant ist allerdings die Gleichberechtigung der blutsaugenden Vampirin mit der Psychovampirin – üblicherweise treten die Variationen nicht zusammen in einem Text auf.
Dafür verarbeitet Sacher-Masoch auch sein anderes Thema – den Masochismus. In modernen Geschichten ist dieses Thema verhältnismäßig weit verbreitet und drückt sich zumeist in Orgien in Lack und Leder mit Knuten und Nippelklemmen aus. Üblicherweise bleibt es in der Mainstream-Literatur bei diesem oberflächlichen Verständnis von der aus Unterwerfung erwachsenden Lust; in diversen Kriminalromanen und Thrillern treten die gelangweilten Opfer des Konsumüberflusses neben Psychopaten auf, doch verständlich wird die Unterwerfung nicht. Anders bei Sacher-Masoch, der ein tiefer greifendes Verständnis von dieser Lust hatte. In dieser Geschichte deutet er diese Liebe nur an, doch selbst in dieser knappen Skizze werden die erotischen Momente und der schleichende Ruin eindringlich geschildert.
Aus dem Unverständnis, das die meisten Schriftsteller gegenüber dem Masochismus hegen, mag auch der Umstand resultieren, dass diese sexuelle Neigung kaum im Rahmen der Vampirliteratur verarbeitet wurde. Denn naheliegend ist das Thema schon: In der Regel reflektiert die Beziehung zwischen Vampir und Opfer eine Liebesbeziehung (im weiteren Sinne) zwischen dominantem und unterwürfigem Partner. Ist es in Polidoris »Der Vampyr« nur eine Andeutung, so tritt es in Raupachs »Lasst die Toten ruhen« oder Le Fanus »Carmilla« schon recht deutlich hervor; selbst die wahrlich liebende Clarimonde aus Théophile Gautiers »Die liebende Tote« von 1836 ist ein dominanter Partner. Auch im physischen Leid des blutziehenden Vampirkusses findet das Opfer für gewöhnlich Lust – auch wenn diese nur eine oberflächliche Andeutung bleibt.
Vorbemerkung
Karl Heinrich Ulrichs wurde 1825 in Westerfeld bei Aurich geboren. Er studierte Rechtswissenschaft in Göttingen und Berlin. Von 1848 bis 1854 war er im Verwaltungs- und Justizdienst des Königreichs Hannover tätig. Er schied aus, um einem Disziplinarverfahren zu entgehen; auch wenn Homosexualität in Hannover nicht strafbar war, wurden Homosexuelle diskriminiert. Aus diesem Grund wurde er auch aus dem »Freien Deutschen Hochstift« ausgeschlossen, welches Wissenschaft, Künste und die allgemeine Bildung fördern sollte.
1866 annektiert Preußen Hannover und damit wurde auch die männliche Homosexualität strafbar. Nach einigen Zusammenstößen mit der preußischen Justiz verließ Ulrichs schließlich das Land, um nach einigen Jahren ins italienische Exil in Aquila (dem heutigen L’Aquila) zu gehen, wo er 1895 verstarb.
Ulrichs Leben und Schaffen, ob als Jurist oder Journalist, ob als Gelehrter oder Künstler, durchzieht das Thema Homosexualität. So setzte er sich 1867 als erster Jurist auf dem Deutschen Juristentag für die rechtliche und soziale Gleichstellung der Homosexuellen ein, freilich ohne Erfolg. Die stärkste Nachwirkung erzielte jedoch seine »Forschungen über das Räthsel der männlichen Liebe«: Die immer noch verbreitete Vorstellung, bei männlichen Homosexuellen wohne eine weibliche Seele in einem männlichen Körper, wurde dort
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