Lasst eure Kinder in Ruhe
aufregendes seelisches und geistiges Erlebnis betrogen worden, sie war ja schon fast Vanessa, fast konnte sie selber Luftlinien zeichnen, fast selber das wackelige Stück Papier auffangen.
Sie hat die bewundernswerte Eigenschaft des Menschlichen erlebt, sich mit einem anderen Menschen zu identifizieren und sich in ihm zu spiegeln. Dies ist übrigens die zentrale menschliche Fähigkeit zur Kommunikation, auch das hatte sie geübt. Und jetzt? Wohin jetzt mit ihr und ihren vielen klugen Erfahrungen?
Sie ist nicht zu beruhigen, sie strampelt, wirft sich auf den Boden, sie kommt nicht in den Förderkreis, sie wird überhaupt nicht mehr gefördert, sondern in irgendeinem Nebenraum wahrscheinlich mit irgendwelchen pädagogischen Mitteln stillgestellt, motivierenden, freundlichen oder auch einschüchternden. Ich kann es nicht verfolgen. Ich will es auch nicht mehr wissen. Mir ist traurig zumute.
Wie lernen unsere Kinder ihre Welt kennen – und werden mutig und schlau?
Was lehren uns die großen Klassiker?
WAS HEISST NUN »RICHTIGES LERNEN«, oder anspruchsvoller gesagt und umfassender: »gute Bildung«?
Dahinter verbergen sich zwei Fragestellungen, die für die geistige und seelische Entwicklung jedes Kindes von ausschlaggebender Bedeutung sind, nämlich: Wie erlebt, wie verinnerlicht ein Kind das Wissen, das es sich beim Umgang mit Sachen und Menschen aneignet? Wie verlaufen die Spuren der Erlebnisse, der Eindrücke und was wird aus ihnen im seelischen Gesamtprozess? Und unaufhebbar damit verbunden die weiterführende Frage: Alles Erleben geschieht im gemeinschaftlichen sozialen Raum. Wie lernt ein Kind in demselben Atemzug neben der Eigenart der Dinge und ihrer Zusammenhänge, was Gemeinschaft ist? Wie erfährt es soziale Moral? Beides müssen wir klären, um über die Kritik an den Fördermodellen hinauszugelangen und ihnen ein zeitgemäßes und konkretes Konzept von Bildung heute entgegenzuhalten.
Um dies zu begreifen, gehen wir zurück auf einen tiefen Einschnitt in die menschliche Geistesgeschichte. Gut 200 Jahre ist das her und heute moderner und gültiger denn je. Was war da geschehen?
Der Philosoph Immanuel Kant proklamierte die menschliche Kraft, sich aus selbstverschuldeten Abhängigkeiten
zu befreien. Er entwarf ein freies, auf die Zukunft bezogenes Menschenbild auf dem Hintergrund eines tiefen Verantwortungsdenkens. Das ist bis heute der Eintritt in ein modernes Zeitalter und seine Geistesgeschichte. Der Pädagoge Friedrich Fröbel, Entwickler und Erfinder der Kindergärten und ein bedeutender Theoretiker, übernahm seine Grundannahmen und entwarf daraus sein Verständnis von Lernen und Bildung, wiederum als offenen, zukunftsgerichteten und trotzdem von insgeheimen menschlichen Kräften gelenkten Reifungsprozess bei Kindern.
Beides schauen wir uns an, von da aus leuchtet uns ein Bild der modernen Verfassung des Menschen entgegen, auch heute noch. Wir müssen freilich genau hinschauen, Lernobjekt hier und lernendes Subjekt da – mit solchen ambivalenten Begriffen kommen wir zu nichts. Es handelt sich um menschliche, kindliche Prozesse, sie sind kompakt und sie anzuschauen freut jeden, der sich für Kinder, Freiheit, Zukunft und die feine Ästhetik alles Lebendigen über das Vernünftige hinaus einen Sinn bewahrt hat.
Wie nimmt ein Kind mit Sinn und Verstand und vor allem Gefühl die Wahrheit der Welt, das »Weltwissen« in sich auf? Wie hängt dies zusammen mit der Entfaltung sozialer Moral? Ich verweise auf Fröbel, auf Kant, nicht um eine Abhandlung über deren Denken zu geben, sondern sozusagen hilfsweise. Was vor allem Fröbel sprachlich fasst, hat in der Pädagogik kaum seinesgleichen. Wir bedienen uns, wo es sinnvoll erscheint.
Haben wir diese »Reifungsprozesse« erst einmal nachvollzogen
– das ist meiner Kenntnis nach in den Förderprogrammen nicht der Fall –, dann, und nur dann, verstehen wir auch, wie und warum die Außenwelt ihre Erinnerungsspuren in der Innenwelt eines Kindes markiert und wie diese Spuren sich verdichten zu einem Erfahrungskomplex. Und wie solche Erfahrungen zusammenwachsen zur Entfaltung eines Gemeinschaftscharakters, der sozialen Moral. Ein Kind muss es durchleben. Dabei kann es behindert, aber auch gestützt werden.
Alles beginnt mit dem großen Philosophen der Aufklärung, Immanuel Kant. Wir alle stehen geistig-seelisch auf den Schultern dieses großen Denkers. Friedrich Fröbel tat eben dies. Seine Pädagogik ist eine aus dem Geist der Aufklärung. Alles
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