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Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein

Titel: Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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Normalverbraucher« einsetzbar sind?
     
    Sie entwickeln im Laufe der Zeit hoffentlich ein dickeres Fell. Wie singen die »Ärzte«: »Lass die Leute reden …«

     
    Unterscheidet sich das, was Sie in Ihrer Funktion als Kirchenfrau Ratsuchenden sagen, von dem, was Sie privat Freunden raten würden? Falls ja, in welcher Hinsicht?
     
    Auf keinen Fall! Ich fände es sehr merkwürdig, wenn eine Person in amtlicher Funktion anders spricht und handelt als privat. Mich hält und trägt mein Glaube. Und ich habe erlebt, dass der Satz »Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand«, mit dem ich Krisen thematisiert habe, für viele Menschen wichtig war.
     
     
    In den Antworten von Margot Käßmann finden sich einige Schlüsselwörter für die hier dargestellten Zusammenhänge. Ruhe und die daraus folgende Kraft sind Ziele, die durch ein Bewusstsein für den Katastrophenmodus in unserer Psyche wieder erreicht werden können. Mit diesem Bewusstsein können wir den Hebel umlegen, der die Psyche wieder in den Normalzustand versetzt. Die »Gliederung des Alltags« gelingt dann wieder ganz automatisch, wenn der Hebel umgelegt ist. Nicht so viel wie nur möglich und alles auf einmal machen, sondern das, was zu schaffen ist, konzentriert erledigen und Dinge vertagen können, ohne sie ewig vor sich her zu schieben: Das wird dann wichtig, wenn wir wieder in die Ruhe hineingekommen sind und unsere Psyche aus dem Katastrophenmodus herausgeholt haben.

Sinnsuche und Ruhe sind wichtig – funktionieren aber erst, wenn das Hamsterrad still steht
    Wer heute entspannen will, kann sich nicht einfach aufs Sofa setzen und die Füße hochlegen. Eine ganze Industrie lebt davon, uns mit Hochdruck etwas zu verkaufen, was unserer Entlastung dienen soll. Diese Wellness-Industrie suggeriert: Egal, welchen Belastungen du ausgesetzt bist, du kannst anschließend die Entspannung einkaufen. Dieses Einkaufen funktioniert wie bei den Lebensmitteln für den täglichen Bedarf. Es gibt einen virtuellen Supermarkt der Wellness-Möglichkeiten, aus dessen Regalen wir uns zusammenstellen können, was uns Ruhe und Gelassenheit bringen soll. Hier ein Stückchen Hochgebirgs-Wandern, dort eine Scheibe Aktiv-Urlaub, und vielleicht auch noch eine Prise Rückzug ins Kloster.
    Gemessen an der Menge an Optionen, die dieser Wellness-Supermarkt bereithält, ist die Unzufriedenheit und Stressbelastung in der Bevölkerung allerdings immer noch sehr hoch. Ganz so einfach kann es also anscheinend nicht funktionieren; die bloße Verfügbarkeit solcher Entspannungsangebote führt nicht automatisch zum gewünschten Effekt. Im Grunde ist sie sogar überwiegend kontraproduktiv.

    Ich habe bisher viel über die Hintergründe geschrieben, die für unsere Dauerstressbelastung heute verantwortlich sind. Mediale Negativnachrichten in Kombination mit zum Teil erheblichen Veränderungen in der Gesellschaft sorgen dafür, dass in der Psyche der Hebel auf Katastrophe umgestellt wird und der Mensch dauerhaft im Hamsterrad steckt. Obwohl diese Rahmenbedingungen für uns alle gleich sind, kennt sicherlich jeder den einen oder anderen Menschen, für den die beschriebenen Hamsterrad- und Katastropheneffekte kaum zutreffen. Menschen, die scheinbar spielend mit den vielfältigen Belastungen fertig werden, gut gelaunt den höchsten Anforderungen entgegentreten und bei allem Stress nie den Anschein erwecken, irgendwie »getrieben« zu sein.
    Es verhält sich hier wie bei meinen Aussagen über die Entwicklung der Psyche im Kinder- und Jugendalter auch: Ich beschreibe ein Phänomen, das eine gefährliche Dynamik entwickelt hat und zu einer Bedrohung für den Zusammenhalt der Gesellschaft, wie wir sie kennen, geworden ist. Damit ist nicht gesagt, dass alle Kinder und Jugendlichen diesen Entwicklungsstörungen im emotionalen und sozialen Bereich unterliegen. Und ebenso wenig bedeutet es, dass alle Erwachsenen sich im ständigen Katastrophenmodus befinden.
    Woran also könnte das liegen? Stellen Sie sich einen Notarzt vor, ein Beispiel, das ich aus meiner beruflichen Laufbahn sehr gut kenne. Der Notarzt hat für die Zeit seines Dienstes 24-Stunden-Rufbereitschaft, jederzeit könnte das Telefon klingeln oder sein Pieper signalisieren, dass eine lebensbedrohliche Situation eingetreten ist, in der er sofort handeln muss. Oft steht er dabei unter dem zusätzlichen
Stress, dass ein einziger Fehler im schlimmsten Fall Menschenleben kosten könnte. Dieser Notarzt steht also im Grunde genau vor einer

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