Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
sah ich, dass der SIJ-Techniker dieselben Bewegungen machte, während Claudel immer noch stumm über ihm stand. Irgendwann hatte er sein Sakko ausgezogen.
Die weißen Partikel entdeckten wir gleichzeitig. Claudel wollte eben etwas sagen, als ich schon »Hallo« rief.
»Sieht aus wie Kalk. Das bedeutet für gewöhnlich, dass jemand zu Hause ist.«
Die vereinzelten Partikel im Erdreich machten einer Schicht weißem Schlick Platz, und dann fanden wir den ersten Schädel. Er lag mit dem Gesicht nach oben, als hätten die jetzt erdgefüllten Augenhöhlen noch einen letzten Blick auf den Himmel werfen wollen. Der Fotograf verkündete die Nachricht, und die anderen hielten in ihrer Arbeit inne und drängten sich um unsere Grube.
Während die Sonne langsam zum Horizont wanderte, tauchten zwei Skelette auf. Sie lagen auf der Seite, das eine in Embryonalhaltung, das andere mit stark nach hinten gebogenen Armen und Beinen. Die Schädel sowie die Bein- und Beckenknochen waren völlig fleischlos und von derselben teebraunen Farbe wie die sie umgebende Erde.
Die Fußknochen und -knöchel steckten in verrotteten Socken, die Torsos waren mit verfaulten Stoffresten bedeckt. Stoff umhüllte auch die Arme, er hing an den Knochen wie bei einer Vogelscheuche. Die Handgelenke waren mit Draht gefesselt, und zwischen den Wirbeln entdeckte ich Reißverschlüsse und große metallene Gürtelschnallen.
Um halb sechs hatte mein Team die Überreste vollständig freigelegt. Neben den Stiefeln lagen auf der Plastikfolie eine Sammlung verrosteter Patronenhülsen und einzelne Zähne, die wir beim Durchsieben gefunden hatten. Die Fotografen filmten und knipsten noch immer, als Frosch seinen Bewacher zu einem weiteren Besuch bei uns überredete.
»Allô Bonjour«, sagte er und begrüßte die Skelette in der Grube mit einem Antippen seines nicht vorhandenen Huts. Dann wandte er sich an mich. »Oder vielleicht sollte ich Bein-jour sagen, für Sie, Lady.«
Ich ignorierte das zweisprachige Wortspiel.
»Heilige Scheiße. Warum Hemden und Socken und sonst nichts?«
Ich war nicht in Stimmung für eine Vorlesung.
»Ach ja«, kicherte er und starrte in die Grube. »Sie mussten die Schuhe ausziehen und in den Händen tragen. Aber wo sind ihre Scheißhosen?«
»Asche zu Asche, erinnern Sie sich?«
»Scheiße zu Scheiße passt besser.« Seine Stimme war angespannt vor Aufregung, sie klang, als hätte man den Zerhacker höher gedreht.
Ich fand seine Gefühllosigkeit irritierend. Der Tod schmerzt immer. So einfach ist das. Er schmerzt die, die sterben, er schmerzt die, die sie lieben, und er schmerzt die, die sie finden.
»Eigentlich ist es genau anders herum«, blaffte ich. »Scheiße überlebt am längsten. Naturfasern, wie die Baumwolle von Levi’s, zersetzen sich viel schneller als Synthetikgewebe. Ihre Kumpel standen auf Polyester.«
»Scheiße, die sehen vielleicht übel aus. Ist da sonst noch was drin bei denen?«, fragte er und spähte in das Grab. Seine Augen funkelten wie die einer Ratte, die auf einem Kadaver sitzt.
»Schlechte Entscheidung wegen der Party, was?«, kläffte er.
Ja, dachte ich. Eine tödliche Entscheidung.
Ich fing an, meine Kelle zu reinigen, um meine Nerven zu beruhigen. Zwei Leichen lagen zu unseren Füßen, und diese kleine Ratte geilte sich daran auf.
Ich wandte mich den Fotografen zu, um zu kontrollieren, ob sie schon fertig waren, und sah, dass Quickwater auf mich zukam.
Toll. Du hast mir gerade noch gefehlt, dachte ich und hoffte, dass er jemand anderen suchte. Aber das tat er nicht. Ich erwartete ihn mit so viel Begeisterung, wie ich für eine Frostbeule aufbringen würde.
Quickwater kam zu mir und durchbohrte mich mit einem seiner Blicke. Sein Gesicht war hart wie Granit. Er roch nach Männerschweiß und Kiefernharz, und ich erkannte, dass er den ganzen Nachmittag über gearbeitet hatte. Während andere sich Pausen gegönnt hatten, um nachzusehen, wie es bei der Hauptgrabung voranging, hatte Quickwater weitergeschuftet. Vielleicht wollte er einfach einen Abstand zwischen uns wahren. Ich hatte nichts dagegen.
»Da ist etwas, das Sie sich ansehen müssen.«
Eine Stille ging von ihm aus, die mich verstörte. Ich wartete auf weitere Erklärungen, aber Quickwater drehte sich einfach um, ging zu seiner Grabungsstätte und verließ sich darauf, dass ich ihm folgen würde.
Arrogantes Arschloch, dachte ich.
Die Bäume warfen lange Schatten, und es wurde von Minute zu Minute kühler. Ich sah auf die Uhr. Fast
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