Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Betrunkenen, der auf der Straße die Hand ausstreckt.
»Hören Sie. ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Die Sache ist angeblich wasserdicht. Wenn die mit ihm fertig sind, bringt er keinen Fuß mehr auf den Boden.«
»Ist es so schlimm?« Ich sah zu, wie meine Finger mit den Fransen eines Zierkissens spielten.
»Sie haben mehr als genug, um ihn festzunageln.«
»Was genau haben sie denn?«
»Als sie seine Wohnung durchsuchten, fanden sie genug Methedrin, um ein ganzes Dritte-Welt-Land high zu machen, und gestohlene Parkas im Wert von über zehntausend Dollar.«
»Parkas?«
»Ja. Diese Kanuk-Dinger, nach denen alle ganz verrückt sind.«
»Und?« Ich wickelte die Fransen so eng um die Finger, dass mir ein Schmerz in Hand und Gelenke schoss.
»Und Zeugen, Videos, Belege und eine Gestankspur, die mitten ins Zentrum des Misthaufens fuhrt.«
Bertrands Stimme verriet seine Gefühle. Er atmete tief durch.
»Da ist noch mehr. Unmengen mehr. Aber ich kann nicht darüber reden, Tempe. Schauen Sie, es tut mir Leid, dass ich Sie habe hängen lassen. Ich habe eine Weile gebraucht, um das selber zu verdauen. Ich konnte es einfach nicht glauben, aber –«
Er brach ab, als traute er seiner eigenen Stimme nicht.
»Ich fürchte, der Kerl hat seine Vergangenheit nie ganz hinter sich gelassen.
Als Student hat Ryan mit Alkohol und Tabletten herumgemacht und schließlich das akademische Leben für ein Leben am Abgrund aufgegeben. Ein messerschwingender Kokser hätte ihn beinahe umgebracht, und von da an machte der wilde Junge eine abrupte Kehrtwendung, wurde Polizist und stieg bis zum Lieutenant-détective auf. Das wusste ich alles. Aber trotzdem…
Ich erfuhr, dass irgend jemand Ryan verpfiffen hatte, und soweit ich wusste, hätten das auch Sie sein können. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Der Hurensohn hat Dreck am Stecken und verdient, was ihm jetzt bevorsteht.«
Wir schwiegen. Ich spürte Bertrands Blick auf mir, aber ich wollte ihn weder ansehen noch etwas sagen. Die Mikrowelle schaltete sich aus. Stille. Schließlich fragte ich: »Glauben Sie wirklich, dass er es getan hat?« Meine Wangen fühlten sich heiß an, und ich spürte ein Brennen unter dem Brustbein.
»In den letzten paar Tagen habe ich nichts anderes getan, als Spuren zu verfolgen, die beweisen könnten, dass er es nicht getan hat. Alles. Jeden. Ich wollte nichts anderes als eine winzige Andeutung eines Zweifels.«
Als er den Zeigefinger gegen den Daumen rieb, sah ich, dass seine Hand zitterte.
»Es gab einfach nichts, Tempe.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig.«
»Es ist wichtig. Es ist das Einzige, das wichtig ist.«
»Zuerst dachte ich, unmöglich. Nicht Ryan. Bis ich herausfand, dass die Fakten gegen ihn sprachen.«
Er atmete noch einmal tief durch.
»Hören Sie, Tempe, es tut mir Leid. Diese ganze Scheiße macht mich so fertig, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin oder was ich auf dieser Welt überhaupt noch soll.«
Als ich hochsah, war Bertrands Gesicht voller Schmerz, und ich wusste genau, wie er sich fühlte. Er versuchte, seinen Partner nicht zu verachten, weil er der Gier erlegen war, und gleichzeitig hasste er ihn wegen der tiefen, kalten Leere, die sein Verrat hinterlassen hatte.
Bertrand versprach, mir Bescheid zu geben, sobald er etwas Neues erfahre. Als er gegangen war, warf ich den Fisch in den Müll und weinte mich in den Schlaf.
10
Am Donnerstag zog ich ein dunkelblaues Kostüm an und fuhr zu Our Lady of the Angels. Der Morgen war stürmisch, und die Sonne zeigte sich nur selten zwischen den schweren Wolken, die über den Himmel zogen.
Ich parkte und zwängte mich durch die übliche Ansammlung von Schaulustigen, Journalisten und Polizisten. Keine Spur von Charbonneau, Claudel oder Quickwater.
Die meisten der Trauernden, die mit ernsten Gesichtern die Stufen zur Kirche hochstiegen, waren schwarz. Weiße kamen in Paaren oder Gruppen hinzu, immer mit mindestens einem Kind im Schlepptau. Wahrscheinlich Emily Annes Klassenkameradinnen und ihre Familien.
In der Nähe des Eingangs riss eine Bö einer alten Frau rechts von mir den Hut vom Kopf. Mit einer knotigen Hand fuhr sie sich an den Kopf, während die andere mit ihrem Rock kämpfte, der ihr um die Beine wehte.
Ich sprang vor, stoppte den Hut an der Kirchenwand und gab ihn der Frau. Sie drückte ihn an ihre knochige Brust und lächelte dünn. Ihr runzliges braunes Gesicht erinnerte mich an die Holzapfelpuppen,
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