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Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan

Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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wie sie die Frauen in den Smoky Mountains basteln.
    »Sie war’n ‘ne Freundin von Emily Anne?«, fragte die alte Frau mit spröder Stimme.
    »Ja, Ma’am.« Den eigentlichen Grund meiner Anteilnahme wollte ich ihr ersparen.
    »Sie is meine Enk’lin.«
    »Mein Beileid für Ihren Verlust.«
    »Ich hab zweiundzwanzig Enkel, aber Emily Anne, die war was ganz Besonderes. Konnte alles, die Kleine. Briefe schreiben, im Ballett tanzen, schwimmen, auf dem Eis laufen. Manchmal denk ich, das Mädchen iss noch gescheiter als ihre Mam.«
    »Sie war ein wunderhübsches Mädchen.«
    »Vielleich’ hat Gott sie deshalb zu sich geholt.«
    Ich sah zu, wie Emily Annes Großmutter in die Kirche wankte, und erinnerte mich daran, dass ich genau diese Worte vor langer Zeit schon einmal gehört hatte. Ein schlummernder Schmerz regte sich in meiner Brust, und ich wappnete mich für das, was noch kommen würde.
    In der Kirche war es kühl, und es roch nach Weihrauch, Wachs und Möbelpolitur. Licht sickerte durch die Buntglasfenster und überzog alles mit weichen Pastelltönen.
    Die vorderen Reihen waren dicht besetzt, in den mittleren saßen nur noch vereinzelt Trauernde. Ich setzte mich in eine der hinteren Bänke, faltete die Hände und versuchte, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Schon jetzt juckte meine Haut, die Handflächen waren schweißfeucht. Als ich mich umsah, beendete der Organist eben eine Hymne und begann eine neue.
    Ein winziger weißer Sarg stand, überhäuft mit Blumen und flankiert von Kerzen, vor dem Altar. Luftballons tanzten an den Schnüren, die an den Griffen des Sargs befestigt waren. Die bunten Kugeln waren ein greller Misston in der düsteren Atmosphäre.
    In der ersten Reihe sah ich zwei kleine Köpfe und dazwischen eine größere Gestalt. Mrs. Toussaint saß nach vorne gebeugt und drückte sich ein Taschentuch auf den Mund. Ich sah, wie ihre Schultern zu zucken begannen, und eine winzige Hand hob sich und rieb ihr sanft den Oberarm.
    Der schlummernde Schmerz in mir erwachte nun ganz, und ich war plötzlich wieder in der Pfarrei St. Barnabas. Father Morrison stand auf der Kanzel, und mein kleiner Bruder lag in seinem winzigen Sarg.
    Meine Mutter schluchzte herzzerreißend, und ich hob die Hand, um sie zu trösten. Sie bemerkte meine Berührung überhaupt nicht, drückte nur die kleine Harriet an ihre Brust und weinte auf ihren Kopf. Mit einem Gefühl absoluter Hilflosigkeit sah ich zu, wie das seidige, maisgelbe Haar meiner Schwester feucht wurde von den Tränen meiner Mutter.
    Wenn man mir einen Karton Malkreiden gegeben und mich gebeten hätte, die Welt zu malen, wie ich sie mit sechs Jahren erlebt hatte, dann hätte ich nur eine einzige Farbe gewählt: Schwarz.
    Ich hatte nichts tun können, um Kevin zu retten, um die Leukämie zu stoppen, die seinen winzigen Körper verwüstete. Er war mein liebstes Geschenk, mein Weihnachtsbruder, und ich vergötterte ihn. Ich hatte gebetet und gebetet, aber ich hatte seinen Tod nicht verhindern können. Oder meine Mutter wieder zum Lächeln bringen können. Ich hatte mich schon gefragt, ob ich böse war, weil meine Gebete nichts bewirkten.
    Fast vier Jahrzehnte, und der Schmerz über Kevins Tod war noch immer da. Die Szenen und Geräusche und Gerüche eines Trauergottesdienstes schafften es immer, diese Wunde wieder zu öffnen, den tief vergrabenen Kummer wieder in mein Bewusstsein dringen zu lassen.
    Ich nahm den Blick von der Toussaint-Familie und ließ ihn über die Trauergemeinde schweifen. Charbonneau hatte sich im Schatten eines Beichtstuhls versteckt, aber sonst kannte ich niemanden.
    In diesem Augenblick erschien der Priester und bekreuzigte sich. Er war jung, athletisch und nervös. Eher wie ein Tennisspieler vor einem Match als wie ein Priester vor einem Trauergottesdienst. Wir erhoben uns.
    Während ich die vertrauten Rituale vollzog, fühlte meine Haut sich erhitzt an, und mein Herz schlug schneller, als mir lieb war. Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber mein Verstand weigerte sich. Bilder sickerten mir ins Hirn und führten mich zurück in diese Zeit in meiner Kindheit.
    Eine mächtige Frau trat ans Lesepult rechts des Altars. Ihre Haut hatte die Farbe von Mahagoni, ihre Haare waren geflochten und oben auf dem Kopf zu einer Schnecke gewunden. Die Wangen der Frau wurden feucht, als sie Amazing Grace sang. Ich kannte ihr Gesicht von einem Zeitungsfoto.
    Dann sprach der Priester über kindliche Unschuld. Verwandte lobten Emily Annes sonniges Wesen,

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