Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Roy«, fügte ich hinzu.
»Und der Agent in North Carolina glaubt, dass dieses Kind von Bandenmitgliedern ermordet wurde?«
»Kate Brophy. Sie hält es für durchaus wahrscheinlich.«
»Weiß sie etwas über Verbindungen zwischen Quebec und den Myrtle-Beach-Banden?«
»Nein.«
LaManche atmete tief ein und wieder aus.
Als ich meinem Chef jetzt gegenübersaß, seinem präzisen Französisch zuhörte und hinter ihm den St. Lawrence sah, musste ich mir eingestehen, dass die Carolina-Theorie sogar für mich bizarr klang. Was in Raleigh so einleuchtend erschienen war, wirkte jetzt wie die Erinnerung an einen Traum, in dem ich Wirklichkeit und Phantasie nicht auseinander halten konnte.
»Wir mussten abbrechen, als ich den Anruf wegen Cherokees verkohlter Leiche erhielt, aber Agent Brophy hat mir Unmengen von Material aus den SBI-Akten zur Verfügung gestellt, darunter auch Fotos. Morgen bringe ich das alles zur Carcajou, und dann werden wir mal sehen, was sich ergibt.«
LaManche setzte seine Brille wieder auf.
»Es kann sein, dass dieses Skelett in Carolina nichts mit Ihren Überresten zu tun hat.«
»Ich weiß.«
»Wie schnell kriegen wir die DNS-Ergebnisse?«
Ich verkniff es mir, die Augen zu verdrehen, aber ich bin mir sicher, das man die Frustration in meiner Stimme hörte.
»Sie sind überlastet wegen der zerbombten Zwillinge und wollten mir keinen Termin nennen.« Ich erinnerte mich noch an den Blick, den die Technikerin mir zugeworfen hatte, als sie Savannahs Todesdatum auf dem Formular sah. »Und wie Sie schon gesagt haben, es ist nicht gerade ein neuer Fall.«
LaManche nickte.
»Aber es ist ein ungelöster Todesfall, und die Überreste wurden in Quebec gefunden, und deshalb behandeln wir es als Mord. Hoffentlich verfährt die SQ genauso«, sagte er.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. LaManche hob ab, und ich sammelte meine Papiere zusammen. Als er das Gespräch beendet hatte, sagte ich: »Der Cherokee-Fall passt irgendwie nicht zur Vorgehensweise der Biker, aber wer weiß, warum die Leute töten.«
Während er mir antwortete, schrieb LaManche, in Gedanken offensichtlich noch immer bei dem Telefonat, etwas auf einen kleinen gelben Block. Oder vielleicht dachte er auch, ich redete von etwas anderem.
»Monsieur Claudel kann gelegentlich etwas barsch sein, aber am Ende macht er es schon richtig.«
Was meinte er nur damit?
Bevor ich fragen konnte, klingelte das Telefon schon wieder. LaManche griff nach dem Hörer, hörte kurz zu und drückte ihn sich dann an die Brust.
»Gibt es sonst noch etwas?«
Eine höfliche Entlassung.
Ich war so beschäftigt mit LaManches Bemerkung über Claudel, dass ich beinahe mit Jocelyn, der Aushilfe, zusammengestoßen wäre, als ich sein Büro verließ und zu meinem ging. Sie trug große, mit Perlen verzierte Reifen in ihren Ohren, und die Strähnchen in ihren Haaren hatten jetzt die Farbe von Usambaraveilchen.
Während wir einander umkreisten und unsere Papierstapel neu ausbalancierten, war ich aufs Neue verblüfft, wie bleich ihre Haut war. Im grellen Neonlicht wirkten ihre Unterlider pflaumenfarben und ihre Haut so weiß wie die Innenseite einer Zitronenschale. Es fiel mir ein, dass sie vielleicht Albino war.
Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich verpflichtet, mit ihr zu reden.
»Wie geht’s denn, Jocelyn?«
Sie starrte mich mit einem Blick an, den ich nicht interpretieren konnte.
»Ich hoffe nur, Sie fühlen sich bei uns nicht zu sehr überlastet.«
»Ich schaffe die Arbeit.«
»Natürlich. Ich meine nur, dass es doch schwer sein muss, wenn man irgendwo neu ist.«
Sie öffnete eben den Mund, um etwas zu sagen, als eine Sekretärin aus einem der angrenzenden Büros trat. Jocelyn eilte den Gang hinunter.
Mein Gott, dachte ich. Ein Schnellkurs in Charme würde der auch nicht schaden. Sie sollte sich mit Quickwater zusammentun, vielleicht wird’s im Paket ja billiger.
Den Rest des Nachmittags brachte ich damit zu, die Nachrichtenzettel auf meinem Schreibtisch durchzugehen. Anrufe der Medien ignorierte ich, Behördenanfragen beantwortete ich.
Ich überflog eine Anfrage von Pelletier, dem ältesten Pathologen im Institut. Ein Hausbesitzer in Outremont hatte in seinem Keller ein Loch gegraben und dabei Knochen gefunden. Die Überreste waren alt und spröde, aber Pelletier war sich nicht sicher, ob sie menschlich waren.
Nichts Dringendes.
Nachdem mein Schreibtisch einigermaßen aufgeräumt war, fuhr ich nach Hause und verbrachte wieder einmal einen
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