Lasst uns ueber Liebe reden
hatte er nicht die Druckerpresse so manipuliert, dass sie
keine Vokale mehr druckte. Dann hätte das Heft gestern Nacht gar nicht
ausgeliefert werden können. Klar, als wäre er zu so etwas imstande. »Hey, Danno«, hörte er hinter sich die vertraute Schnöselstimme seines
meistgehassten Mitschülers an der Riverside- Knabenschule. Er blieb stehen und
drehte sich um. Chuck Bass warf sich seinen blauen Kaschmirschal mit Monogramm
über eine Schulter und fuhr sich mit manikürten Fingern durch die dunklen
Haare, die er seit neuestem blond gesträhnt trug. »Gar nicht übel, das Gedicht
von dir im New Yorker.« Er schlug Dan anerkennend auf die Schulter. Der
Siegelring an seinem kleinen Finger blitzte in der Wintersonne. »Hätte ja
nicht gedacht, dass so ein Hengst in dir steckt.«
Hatte
Chuck Bass in letzter Zeit nicht einen deutlich schwulen Touch? Na ja, vielleicht auch nicht. Dass er sich blonde Strähnchen hatte
färben lassen, einen schmal geschnittenen cremefarbenen Wollmantel von Ralph
Lauren und orange Prada-Sneakers trug, musste ja nicht bedeuten, dass er
aufgehört hatte, wehrlose betrunkene Mädchen auf Partys sexuell zu belästigen.
Vielleicht lebte er sich nur aus.
Und
dagegen ist ja wohl gar nichts einzuwenden.
»Mhm,
danke.« Dan fummelte am Plastikdeckel seines Kaffeebechers herum. Er fragte
sich, ob Chuck jetzt vielleicht vorhatte, mit ihm bis zur Schule zu gehen, um
über das Gedicht zu diskutieren. Aber zum Glück summte in diesem Moment sein
Handy und rettete ihn vor Chucks dämlicher Frage, wie viele Weiber er
flachgelegt hatte, bevor er so ein Gedicht schreiben konnte, oder worüber sich
jemand wie Chuck Bass auf dem morgendlichen Schulweg eben so unterhielt.
Als Dan
das Handy ans Ohr drückte, klatschte ihm Chuck noch einmal auf die Schulter und
ging dann weiter.
» Hallo? «
»Gratulation,
Danielson!«, brüllte Rufus Humphrey ins Telefon. Dans Vater stand nie vor acht
Uhr auf, weshalb Dan heute noch nicht mit ihm gesprochen hatte. »Alle Achtung,
Sportsfreund. Du bist im Neiv Yorker, ja leck mich am
Arsch. Im verdammten New Yorkerl«
Dan
kicherte leicht verlegen. In einem verstaubten Pappkarton in der Besenkammer
lagerten unzählige Notizbücher mit den kruden Gedichten seines Vaters. Aber obwohl
er Verleger war, hatte Rufus Humphrey selbst nie eine Zeile veröffentlicht.
»Und jetzt
rate ma...«, fuhr Rufus fort, aber seine Stimme ging im Geräusch rauschenden
Wassers unter. Typisch. Rufus hatte vom Klo aus telefoniert.
Dan leerte
hastig den Kaffeebecher, überquerte den Broadway und bog in die 77. Straße
ein. Wenn er sich nicht beeilte, kam er zu spät zu Chemie. Nicht dass das ein
großer Verlust gewesen wäre. »Dad? Bist du noch dran?«
»Moment
noch, Junge«, murmelte Rufus zerstreut. »Ich hab alle Hände voll zu tun.«
Dan
stellte sich vor, wie sich sein Vater gerade die Hände an dem zerschlissenen
roten Handtuch abtrocknete, das an der Badezimmertür hing, und dann die
zusammengerollte Ausgabe des New Yorker unter seiner
behaarten Achsel hervorzog, um noch einmal Dans Gedicht zu lesen.
»Gerade
haben Typen von der Columbia University und von der Brown hier angerufen und
dich als Wunderkind gepriesen«, sagte Rufus. Er schien den Mund voll zu haben
und Dan hörte im Hintergrundwasser laufen. Putzte er sich etwa die Zähne? »Ich
sage dir, denen lief der Sabber aus dem Maul, so heiß sind die auf dich.«
»Brown und
Columbia, im Ernst?«, wiederholte Dan ungläubig. Die Straße, die Schaufenster
und die Leute um ihn herum verschmolzen plötzlich zu einem einzigen zäh fließenden,
ozeanischen Brei. »Bist du dir ganz sicher, dass du dich nicht verhört hast?
Brown und Columbia, ja?«
»So sicher
wie meine Pisse gelb ist!«, rief Rufus fröhlich.
Normalerweise
hasste Dan seine vulgären Sprüche, aber er war viel zu überwältigt von seinem
eigenen Erfolg, um sich darüber aufzuregen. Vielleicht war es doch gar nicht so
schlecht, schon etwas veröffentlicht zu haben. Vor ihm tauchten die schwarzen
Eisentüren der Riverside-Knabenschule auf. »Hey, Dad, ich muss in die Schule. Danke,
dass du angerufen hast«, sagte er, und von plötzlicher Zärtlichkeit für seinen
ruppigen alten Herrn erfüllt, fügte er noch ein »Danke für allesl« hinzu.
»Gern
geschehen, mein Sohn. Hauptsache, der Ruhm steigt dir nicht zu Kopf«, scherzte
Rufus, der den Stolz in seiner brummigen Stimme nicht verhehlen konnte.
»Vergiss nicht. Dichter sind ein bescheidenes
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