Last days on Earth: Thriller (German Edition)
den Zettel, den Karla ihr reichte. Sie war eine nette, hilfsbereite junge Magistra, die ihre ältere Kollegin insgeheim bewunderte. Karla fühlte sich ein wenig schlecht, dass sie das manchmal ausnutzte, aber sie wollte für dieses Telefonat ungestört sein.
»Spreche ich mit Vadim Sonofabiˇc?«
»Ja, am Apparat«, sagte eine rostig klingende Stimme. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Karla van Zomeren«, antwortete sie. »Herr Sonofabiˇc, ich bin auf der Suche nach ein paar Informationen für einen Artikel.«
»Sie sind Reporterin?« Die Stimme ließ Misstrauen erkennen. Karla seufzte lautlos. »Genau genommen schreibe ich an einem Buch«, beeilte sie sich, die Lüge in eine andere Richtung zu schieben. »Der Artikel ist für eine Fachzeitschrift bestimmt.«
»Ein Buch. So.« Der Mann überlegte. »Was wollen Sie wissen?«
»Ich möchte das nicht gerne am Telefon besprechen. Könnten wir uns treffen?«
Zu ihrer Überraschung lachte er. »Treffen. Das hat sich schon lange kein hübsches Mädchen mehr von mir gewünscht. Sie sind doch hübsch, oder?«
Karla verdrehte die Augen. Ein süßholzraspelnder Gestaltwandler, das hatte ihr noch gefehlt. »Meinen Geschmack treffe ich jedenfalls«, sagte sie kühl. »Wie wäre es mit Montag? Im River Café? Wissen Sie, wo das ist?«
»An der Promenade«, erwiderte der Mann. »Dort verkehren Nichtmenschen.« Seine Stimme klang missbilligend. Karla hätte beinahe gelacht. Er war selbst ein verdammter Gestaltwandler! Es gelang ihr, die Fassung zu bewahren und das Date festzumachen. Dann legte sie auf, lehnte sich zurück und grinste zur Decke empor.
»Worüber lachst du?« Mick kam herein.
»Ich hab bloß gute Laune«, erwiderte Karla und ordnete ihre Gesichtszüge. »Habe ich Daimonenzeit?«
»Hast du. Wann kommt dein Neuer?«
»Der kommt nicht.« Karla beugte sich über ihre Notizen. Sonofabiˇc bekam einen Haken und den Zusatz, wann sie ihn treffen wollte. Sie überflog ihre Fragen und notierte sich alles, was sie bei Omnipedia nachschlagen musste. Eine Stunde Daimonenzeit war erschreckend wenig, wenn man sich nicht mit den oberflächlichen Antworten zufriedengeben wollte.
»Du hast aber einen Termin mit ihm gemacht?« Mick ließ nicht locker. Sie lehnte nun lässig an der Fensterbank.
Karla legte ihren Stift beiseite und verschränkte die Arme. »Ich habe einen Termin mit ihm gemacht, den er nicht einhalten wird«, erklärte sie geduldig. »Ich werde eine halbe Stunde auf ihn warten, und dann gehe ich zum Chef und bitte darum, mich einstweilen ohne Partner arbeiten zu lassen.«
Mick sah aus dem Fenster. »Das ist gegen die Vorschriften.«
Karla erwiderte nichts. Sie kannte die Vorschriften so gut wie Mick – wahrscheinlich sogar besser, weil sie schon deutlich mehr Zeit damit verbracht hatte, gegen einen Haufen davon zu verstoßen. »Wie auch immer«, sagte sie schroff, »der Irre wird nicht auftauchen.«
»Hm«, machte Mick und starrte weiter aus dem Fenster. »Was fährt er eigentlich für ein Auto?«
»Woher soll ich das wissen? Mick, Schätzchen, lass mich doch einfach arbeiten, ja?«
Ihre Kollegin ließ sich nicht beirren. Sie klebte an der Fensterscheibe und schielte in den Hof. »Wie sieht er aus? Erzähl mal, du hast noch gar nichts gesagt!«
Karla stieß entnervt Luft durch die Nase. »Er ist größer als ich, dürr wie eine Zaunlatte und sieht aus wie ein Penner.«
»Schade, dann ist er es nicht.«
»Wer?«
»Der Typ, der da unten gerade aus seinem Jaguar gestiegen ist.«
Karla holte tief Luft, um ein Donnerwetter loszulassen, als ein Klopfen sie unterbrach. »Ja, bitte?«, rief sie ungeduldig.
»Verzeihung, ich suche Magistra van Zomeren.«
Karla riss ihren Blick von Micks breitem Grinsen los und sah zur Uhr. Der Kerl war pünktlich auf die Sekunde erschienen.
Sie seufzte und drehte sich um. »Herr Winter …« Sie verstummte. Und schluckte. »Äh«, sagte sie. »Äh, ich – ich habe mich noch nicht um unseren Arbeitsraum gekümmert. Wenn Sie einen Moment hier warten würden? Ich bin gleich zurück.« Sie rettete sich an ihm vorbei aus der Tür und spürte seinen amüsierten Blick im Nacken.
Draußen lehnte sie sich einen Moment gegen die Wand und ordnete ihre Gedanken. Warum hatte sie erwartet, dass er auch heute aussehen würde wie ein Penner? Der Mann, der jetzt in ihrem Büro stand, trug einen dunklen, dreiteiligen Maßanzug unter einem schmal geschnittenen Wollmantel. An den Füßen glänzten Lederschuhe, das blendend weiße
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