Last days on Earth
um sie anzusehen. »Abgesehen von Dunkelmagiern, meine ich.«
Karla lehnte den Kopf an die Nackenstütze und verengte die Augen zu
Schlitzen. Das Licht der tief stehenden Sonne blendete sie.
»Sie haben recht, ich kann Dunkelmagier nicht ausstehen«, sagte sie.
»Ihr seid so schrecklich selbstverliebt und egozentrisch.«
Raoul lachte. »Was uns von euch unglaublich bescheidenen und
altruistischen Hexen natürlich grundlegend unterscheidet.«
»Aber natürlich. Wir lernen schon als Kinder, edel und selbstlos zu
sein.« Karla grinste in sich hinein.
»Haben Sie nie daran gezweifelt, die richtige Wahl getroffen zu
haben?«, fragte er.
Karla dachte darüber nach. Sie stammte aus einer konservativen
Familie von Magiebegabten. Seit Generationen gehörten alle Mitglieder ihrer
Familie dem WeiÃen Zweig an, und es hatte nie zur Debatte gestanden, ob Karla
möglicherweise einen anderen Weg wählen würde. Sie schüttelte den Kopf. »Nein.
Meine Grundüberzeugungen sind unerschütterlich weiÃ.« Sie warf ihm einen Seitenblick
zu. Seine Hände lagen locker auf dem Lenkrad, und er sah konzentriert auf die
StraÃe. »Wie steht es um Ihre Grundüberzeugungen? Tiefschwarz, wie die unterste
Hölle?«
Die Fältchen um seine Augen vertieften sich. »Dunkel wie die Nacht«,
bestätigte er. »Schwarz, heià und süà wie ein guter Mokka.«
»Gut, dann hätten wir unsere Positionen ja abgesteckt.« Karla sah
wieder zum Fenster hinaus.
Raoul fädelte sich in die linke Abbiegespur ein. Wenig später fuhren
sie die breite Auffahrt des Museums von Schloss Riebenberg hinauf, und Raoul
parkte den Wagen auf einem der für die Leitung des Hauses reservierten Plätze.
Karla stieg aus und reckte sich. Noch immer verliehen die
Sheldrake-Effekte der Umgebung einen zauberhaften Schimmer. Die Luft schmeckte
wie Champagner. Am liebsten hätte sie Raoul untergehakt und wäre mit ihm durch
den groÃen Park spaziert, aber ihr Partner war schon auf dem Weg zum
Nebeneingang.
»Warten Sie auf mich«, rief sie und lief hinter Raoul her.
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12. 19. 19. 04. 00.
»Ich verstehe nicht, was Sie noch wollen.« Die Kuratorin
des Museums spielte ärgerlich mit der Kette, an der ihre Lesebrille baumelte.
»Ihre Kollegen sind hier tagelang durchgetrampelt und haben eine unglaubliche
Unruhe und ein schreckliches Chaos verursacht. Warum also stehlen Sie mir jetzt
auch noch am Wochenende meine Zeit?«
Karla hielt sich im Hintergrund und lieà Raoul schwitzen. Sie
beobachtete ihren neuen Partner mit Luchsaugen. Wie ging er mit solch einer Situation
um? Fokko hätte den diensteifrigen Plattfuà gespielt und seinen treuherzigen
Augenaufschlag eingesetzt. Sein blonder Friesenschädel und die sommersprossige,
jungenhafte Ausstrahlung hätten das Ihre dazu getan, die strenge Kuratorin zu
erweichen.
Raoul Winter spielte das Spiel ein wenig anders. Karla beobachtete
fasziniert, wie seine Schultern sich strafften, seine Haltung noch ein wenig
aufrechter wurde. Seine legere Kleidung sah plötzlich dezent und beinahe ebenso
elegant aus wie der Anzug, in dem er vor Karla aufgetreten war. Raoul fing das
Licht, das durch ein Buntglasfenster fiel, mit dem silbernen Knauf seines
Stockes ein und lenkte die Reflexe beiläufig in die Augen der Kuratorin. Mit
der anderen Hand berührte er ihren Ellbogen. »Liebe Frau Dr. Gernhardt«, sagte
er mit sonorer Stimme. »Ich bedauere es unendlich, dass wir gezwungen sind,
Ihre kostbare Zeit in Anspruch zu nehmen. Aber es gibt einige neue Hinweise,
denen wir nachgehen müssen.«
Karla beobachtete fasziniert, wie die frostige Miene der Kuratorin
auftaute. Sie lächelte zu Raoul hoch. »Herr â äh â«, sie warf einen Blick auf
die Visitenkarte, die Raoul ihr gegeben hatte. »Winter â von Adlersflügel?«
»Nur ⺠Winterâ¹, Frau Dr. Gernhardt.« Sein
Blick war intensiv, Karla konnte einen Teil der Energie, die darin lag, als
schwache Abstrahlung spüren. Das war vollkommen und absolut illegal. Die
Anwendung einer geistigen Beeinflussung gegenüber magisch Benachteiligten war
offiziell verboten. Karla hätte eigentlich einschreiten müssen â aber sie genoss
das Schauspiel viel zu sehr. AuÃerdem schien die Kuratorin Raouls geballte
Aufmerksamkeit auch ohne magische Unterstützung zu genieÃen.
»Mein lieber
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