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Last days on Earth

Last days on Earth

Titel: Last days on Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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gerieten. Aber all das war inzwischen
die Normalität.
    Raoul zwang sich, den Verschluss auf die Flasche zu schrauben. Er
sah, dass seine Finger zitterten. Hatte er Angst? Das war doch lächerlich!
    Â»Ja, ich habe Angst«, flüsterte er und starrte die Flasche an. Er
hatte noch nicht so viel getrunken. Er würde ein Taxi nehmen. Es war ohnehin
noch zu früh, um im Hotchpotch aufzukreuzen. Das Glas klirrte, und der Wodka
gluckerte hinein. Hast du gehört, Brad? Ich habe eine Scheißangst!
    Der Daimon schwieg.
    Â»â€¦Â eine Scheißangst. Hast du gehört, Brad?« Raoul kniete auf dem
Boden seines Badezimmers und hörte das Echo seiner eigenen Stimme. Er fühlte
sich zittrig und desorientiert. Was hatte er gerade tun wollen? Anrufen. Nein,
fortgehen. Er wollte in diesen Nichtmenschen-Schuppen in der Altstadt.
    Raoul kämpfte seine Übelkeit nieder und rekapitulierte die letzten
Stunden. Karla saß in einer Arrestzelle der MID . Er
hatte Faustina angerufen und bei Tora-san um Hilfe gebeten, und dann hatte er
Quass in eins dieser komplizierten Schuld-Gegenschuld-Verhältnisse gezerrt, wie
sie nur ein Drachengehirn ersinnen konnte. Also hatte er alles in Bewegung
gesetzt, was in Bewegung zu setzen war.
    Er stöhnte und zog sich am Waschbecken in die Höhe. Der Wodka war
ein Fehler gewesen. Er drehte den Wasserhahn auf und schaufelte sich kaltes
Wasser ins Gesicht. Mit der Routine langjähriger Übung band er blind seine
Haare zum Zopf und fuhr sich prüfend mit den Fingerspitzen über die Wangen und
den Kinnbart.
    Raoul öffnete die Badezimmertür und erkannte erleichtert, dass es
immer noch dunkel war. Das Schlafzimmer lag im Dämmerlicht, aber er konnte
sehen, dass überall Sachen verstreut lagen. Brad hatte Raouls kurze Abwesenheit
offensichtlich genutzt, um das zu tun, was er am besten beherrschte:
Durcheinander erzeugen. Daimonen waren entropische Wesen, das Chaos war ihr
Lebensraum, und sie fühlten sich am wohlsten bei jeder Form von Auflösung und
Unordnung.
    Durch das halb geöffnete Fenster wehte für diese Jahreszeit
erstaunlich schwülwarme Luft herein. In den letzten Stunden schien sich ein
Gewitter zusammengebraut zu haben. Raoul ließ mit einer Handbewegung die kleine
Stehlampe neben der Tür aufleuchten, um nicht über eine von Brads
Hinterlassenschaften zu stolpern, und öffnete den Schrank. Er nahm eine Jeans
vom Bügel. Zu aufgetakelt sollte man im Hotchpotch lieber nicht erscheinen,
wenn man nicht den ganzen Abend auf seine Brieftasche aufpassen wollte.
    Raoul bückte sich, um zum Outfit passende Schuhe aus der Schublade
zu holen, und starrte verblüfft ein Paar kleine Turnschuhe an, die neben seinen
Sneakers standen. Er richtete sich auf und musterte den Schrankinhalt. Das war
nicht seine Hose. Dort lagen ordentlich zusammengelegt zwei T-Shirts und ein
Sweatshirt, die er definitiv nicht kannte. Und in dem Fach darunter konnte er
Wäsche erkennen, die eindeutig einem weiblichen Wesen gehörte.
    Wann hatte Brad dieses Zeug hier versteckt? Und wem seiner
Teilzeit-Amouren gehörte es? Der kleinen Rothaarigen, die immer ihre
Schminkutensilien über das ganze Bad verteilte?
    Â»Brad?«
    Der Daimon gab keine Antwort. Wahrscheinlich streifte er durch den
Æther und tankte Informationen. Raoul würde später ein ernstes Wort mit ihm
reden. Die Kleider mussten verschwinden. Dafür stand schließlich der Schrank im
Ankleidezimmer, in dem Brad Kleider und Wäsche für seine Freundinnen verwahrte.
    Raoul zog sich an, schnürte seine Sneakers und blieb dann einen
Moment lang auf der Bettkante sitzen. »Du wirst alt, Junge«, sagte er halblaut.
»Ein paar Gläser Wodka, und du fühlst dich, als hätte dich jemand drei Wochen
lang als Fußabtreter benutzt.«
    Mit einem resignierten Schnaufen stand er auf und öffnete die
Schlafzimmertür. Er griff nach seinem Stab, der im Papierkorb steckte (wie
betrunken war er eigentlich? Er fühlte sich verkatert, aber nicht wirklich
alkoholisiert) und nahm seine Lederjacke vom Haken neben der Eingangstür.
    Als Raoul die Hand nach der Türklinke ausstreckte, hörte er, wie ein
Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und das Schloss aufschnappte. Er sprang
zurück und drückte sich hinter der Tür an die Wand.
    Der Eintretende warf seinen Schlüsselbund auf die Ablage und ging
ins Wohnzimmer. Raoul konnte kurz eine schlanke,

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