Last Exit
hinunter. Er nahm einen Zug zum
Deák-Ferenc-Platz, dann stieg er in die Millennium-Bahn um – die zweitälteste U-Bahn der Welt –, die ihn zum Oktogon-Platz brachte. Wieder mischte er sich unter die Menge auf dem belebten Platz und arbeitete sich voran bis zur Szondi Utca, passierte aber die Nummer 10 und behielt die Gerüste mit den schwarzen Sicherheitsnetzen im Auge. Es war Sonntag, die Arbeiter hatten noch immer frei. Da – auf der rechten Seite war eine besonders unordentliche Baustelle mit losen Stahlstangen, die erst zusammengesteckt werden mussten. Er schlüpfte rasch durch das Netz und packte ein schweres, ein Meter langes Rohr. Dann trat er in eine höhlenartige, schmutzige Eingangshalle und suchte sich einen dunklen Winkel.
Er wusste nicht, wie lang es dauern würde, aber er hatte keine Eile. Eine halbe Stunde verging. In dieser Zeit verließen zwei Bewohner das Haus, und jedes Mal zog er sein akkuloses Handy heraus, um sich in der Rolle eines Bauunternehmers auf Deutsch über die Abwesenheit der Arbeiter zu wundern. Kurz nach halb eins betrat sein Verfolger das Haus.
Er hatte einen kurzen Moment – weniger als eine Sekunde – , um aus seiner hockenden Position das Gesicht zu mustern. Er wollte keinen unschuldigen Ungarn angreifen. In diesem Augenblick erkannte ihn auch der Verfolger. Doch Milo war bereit, das Rohr seitlich zurückgestreckt, und sobald er die hängenden Wangen und die tiefliegenden Augen registriert hatte, legte er all seine Kraft in den Schlag. Das hohle Ende des Rohrs gab ein leises Pfeifen von sich, als es knapp über dem Boden nach vorn sauste. Mit dumpfem Knirschen krachte es seinem Beschatter gleich unter dem Knie gegen das Schienbein.
Alles lief völlig nahtlos. Erst knapp vor dem Aufprall nahm Milo etwas Fahrt aus dem Hieb, den Rest erledigte
die Schwerkraft. Der Mann stürzte zu Boden, und das Rohr verfing sich in den Enden des Trenchcoats. Dann hallten laute Schreie durch das alte Foyer.
Zuerst war das Kreischen völlig unverständlich, und Milo hielt das Rohr an den Kopf des Mannes wie eine Schusswaffe. Er wartete. Die Schreie würden sicher einige Bewohner in ihrer Mittagsruhe aufstören, aber das war ihm egal. Er starrte in das verzerrte Gesicht.
Natürlich war ihm klar, dass der Mann nur im Auftrag handelte. Ein einfacher Auftrag, den auch Milo schon oft ausgeführt hatte. Milo empfand nichts. Ein Kollateralschaden, den er in Kauf nehmen musste.
Er kauerte sich nieder, und die Schreie wurden deutlicher. Scheiße, Mann, mein Bein! Mein Bein! Ein Amerikaner. Der Mann umklammerte sein Schienbein, und zwischen den Fingern quoll Blut hervor. Milo näherte sich seinem zuckenden Gesicht und brüllte: »Für wen arbeiten Sie?«
»Gottverdammte Scheißkacke!«
»Für wen arbeiten Sie?«
Als die Flüche nicht aufhörten, ließ Milo die Stange fallen, packte den Mann am Mantelkragen und schleifte ihn näher zur Treppe. Eine lange Blutspur zog sich über die Steinplatten. Aus Angst, sein Verfolger könnte ohnmächtig werden, versetzte er ihm zwei harte Ohrfeigen, bevor er die Frage wiederholte. Er erhielt keine Antwort, aber die Schreie verstummten, als der Mann leise stöhnend an seinem nassen, instabilen Bein herumfummelte.
Es war ein Fehler gewesen, das war Milo inzwischen klar. Er holte sich das Rohr und kauerte sich neben seinen Kopf. »Hören Sie zu. Hören Sie mir zu?«
Schließlich schaute ihm der Mann in die Augen. Er antwortete nicht, aber der Blick genügte. Milo zeigte ihm
die Stange. »Wenn Sie mir nicht sagen, für wen Sie arbeiten, schlage ich Ihnen den Schädel ein.«
»Global Security.«
Global Security war ein kleineres Sicherheitsunternehmen, das Aufträge der US-Regierung erhalten hatte, um den Druck auf die regulären Truppen im Irak und in Afghanistan zu reduzieren. Das half Milo auch nicht weiter. »Wer hat Sie engagiert, um mich zu beschatten?«
»Woher soll ich das wissen?« Das Gesicht des Mannes war nass von Tränen.
Von oben rief eine Frauenstimme: »Mi történik ott lent?« Milo ließ das Rohr fallen, und noch während das Klirren im Treppenhaus widerhallte, fing er an, die Taschen des Mannes zu durchwühlen. Der Verfolger wehrte sich nicht. Schließlich fand er das Handy und blätterte durch die Anrufeinträge. »Wie heißt er?«
»Ich hab doch gesagt, ich weiß es nicht!«
»Ihr Chef. Wie heißt Ihr Chef?«
»Cy.«
Da war es – CY – drei Anrufe in den letzten drei Tagen. Milo wählte die Nummer und wartete, bis sich eine
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