Last Exit
mit seinem unverwechselbaren wolligen Logo führte. »Kurz nach meiner Ankunft bin ich öfter in Kneipen gegangen. Sörözős. Dunkle, unheimliche Lokale. Nach einer Weile fallen sie einem nur noch auf die Nerven. Dann die Cafés. Das Nette dort sind die vielen hübschen Mädels, und der Kaffee ist mittlerweile ganz gut. Aber auch das ist irgendwann ermüdend – es ist immer was Gesellschaftliches dabei. Wenn man nur schnell was trinken will, geht man heute am besten ins Einkaufszentrum.« Gray lächelte, als hätte er schon länger keine Gelegenheit mehr gehabt, mit einem Landsmann zu sprechen. »Da ziehe ich bis nach Mitteleuropa, um ein Vorstädter zu werden!«
Mit der Rolltreppe fuhren sie in den zweiten Stock und überquerten eine verglaste Brücke über eine andere Straße, um die moderne Hälfte des Zentrums zu betreten, wo überteuerte Restaurants die Einkaufslustigen anlockten. Gray steuerte direkt auf das Leroy’s zu, das dunkelste Etablissement, in dem sich rauchende Frauen und ihre Begleiter in Designerkluft drängten. Gray bestellte einen Mojito, und Milo folgte seinem Beispiel. Als sie warteten, unterbrach Milo einen weiteren Monolog über die Vorzüge von Einkaufszentren. »Warum sind Sie verschwunden, Henry?«
»Verschwunden?«
»Aus dem Krankenhaus. Nicht einmal Zsuzsa haben Sie gesagt, wo Sie sind.«
Gray überlegte. Dann lächelte er, als die Kellnerin zwei große Cocktails mit Rum, frischer Minze, Limettensaft und langen braunen Strohhalmen brachte. Er nahm einen kleinen Schluck. »Was dachten Sie denn? Glauben Sie, ich hätte nach dem Aufwachen einfach mein Leben weiterführen sollen, als wäre nichts gewesen? Dieser Typ wollte mich umbringen.«
»Sie meinen James Einner.«
»Wissen Sie, wer er ist?«
»Wahrscheinlich kann ich es rausfinden.«
»Gut, gut.« Wieder saugte er am Halm. »Jedenfalls hat James Einner die Sache verbockt. Und früher oder später musste er natürlich spitzkriegen, dass ich aus dem Koma aufgewacht bin. Was hätte ich da tun sollen? Was würden Sie tun?«
»Bin mir nicht sicher.«
»Ich bin Journalist. Wenn ich keine Geschichten recherchieren kann, ist das Leben langweilig. Es ist das Einzige, was ich kann. Das Einzige, was ich gern mache.«
»Was haben Sie also getan?«
Gray nahm den Halm zwischen die Lippen und zog die Brauen hoch. »Sie wissen es noch nicht?«
»Ich weiß nur, dass Sie einen Brief von Thomas Grainger bekommen haben, einem alten Freund von mir. Dann hat dieser James Einner versucht, Sie zu töten. Als Sie aus dem Koma aufgewacht sind, sind Sie verschwunden, und jemand, der meinen Namen benutzt hat, ist hier aufgekreuzt und hat nach Ihnen gesucht. Vielleicht war es Einner, vielleicht auch nicht. Dann haben Sie gestern Zsuzsa angerufen, als ich gerade im Club war, um mich nach Ihnen zu erkundigen. Wie haben Sie erfahren, dass ich dort bin?«
»Das war ein Zufall. Ich wusste nicht, dass Sie dort sind. Zumindest nicht sicher.«
»Was hat den Anruf ausgelöst?«
»Ich hab es ihr erzählt. Ich bin fertig. Ich habe die Story abgeschlossen.«
»Und Sie haben ihr gesagt, sie soll mir vertrauen.«
»Natürlich. Das stand doch in dem Brief.«
»In dem Brief von Thomas Grainger.«
»Genau.« Gray lächelte. »Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt denken. Wenn sich jemand anders als Sie ausgeben kann, dann ist es ziemlich blöd von mir, mich hier mit Ihnen zu unterhalten.«
»Nein, das habe ich nicht gedacht, aber da ist was dran.«
»So naiv bin ich nicht«, bemerkte Gray voller Zufriedenheit. »Zunächst das Foto. Sie sind Milo Weaver, kein Zweifel. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass Grainger Sie doch nicht so gut kannte, wie er dachte.«
»Klar.«
»Deswegen habe ich mir Verstärkung geholt.«
»Jetzt? In diesem Moment?«
Er nickte und spähte um sich. In und vor dem Restaurant drängten sich so viele Leute, jeder konnte die Verstärkung sein. »Sie können sich gut verstecken.«
»Wer?«
»Die Chinesen.«
Es klang wie die Art von Unlogik, die man von einem Verschwörungstheoretiker wie Gray erwarten konnte. Auf der anderen Seite … »Warum die Chinesen?«
»Weil ich zu ihnen gegangen bin. Okay?«
»Nach dem Erwachen aus dem Koma?«
»Wenn dich dein eigenes Land umbringen will, geht es nicht um Verrat, sondern ums Überleben.«
»Hört sich einleuchtend an.«
Gray schielte Milo an, als würde er ihm nicht glauben. Aber es spielte keine Rolle, denn er hatte ja Verstärkung dabei. »Ich bin im Krankenhaus zu mir
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