Last Exit
Tanzen ist mir klargeworden, dass ich jemandem vertrauen muss. Also warum nicht Ihnen? Ich mag Ihr Gesicht.«
»Danke.«
»Ihr Körper ist ein Witz, aber Ihr Gesicht ist beinahe glaubwürdig.«
»Ach«, entfuhr es ihm.
»Das fällt mir wirklich schwer«, bemerkte sie gelassen. »Sehen Sie, wie ich zittere?« Sie zeigte ihre schmale Hand, die jedoch in dem schummrigen Licht völlig ruhig wirkte. »Und ich habe gelogen.«
»Gelogen?«
»Ja. Ich traue Ihnen nicht über den Weg.«
»Aber warum …«
Sie hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. » Er hat gesagt, ich soll Ihnen vertrauen. Er hat mich angerufen. Gerade eben nach meiner Vorführung.«
»Wer, er?«
»Na, wer wohl, Mr. Weaver. Henry.«
Er starrte sie an. »Sie waren die ganze Zeit mit ihm in Kontakt?«
Ohne ein Wort schüttelte sie den Kopf. Grübelnd konzentrierte sie sich auf einen Punkt zwischen ihnen. »Ich dachte schon, er ist tot – und dann ruft er auf einmal an.«
»Jetzt? Warum gerade jetzt?«
Sie fuhr aus ihrer Versunkenheit und zuckte die Achseln. »Ein Zufall, oder? Letztes Mal sind Sie aufgetaucht, kurz nachdem er aufgewacht war. Jetzt ruft er genau an dem Abend an, an dem Sie hier sind. Wirklich erstaunlich. «
Erstaunlich, ja, aber Milo glaubte nicht an derartige Zufälle. James Einner war angereist, weil er erfahren hatte, dass Gray aus dem Koma erwacht war. Das war Ursache und Wirkung. Und damit nachvollziehbar. Aber Henrys Anruf, während Milo in der Stadt war? »Was hat Henry gesagt?«
»Dass er es geschafft hat.«
»Was geschafft?«
»Seine Arbeit. Er ist fertig damit.«
»Seine Story?«
»Ich weiß es nicht. Hab nicht gefragt. Ich bin nur glücklich, dass er noch lebt.« Unbedingt glücklich hörte sie sich allerdings nicht an.
»Eine gute Nachricht.«
Sie musterte ihn, und ihre Mundwinkel gingen leicht nach oben. »Sparen Sie sich Ihre Herablassung.«
»Tut mir leid. Aber es ist wirklich eine gute Nachricht – für uns beide.«
»Was haben Sie vor?«
»Ich möchte nur mit ihm reden.«
»Und dann?«
»Dann reise ich ab. Nach Hause zu meiner Familie.«
Sie lächelte. »Wie reizend.«
»Jetzt sind Sie herablassend.« Milo kniete sich hin, um seine Schuhe zu schnüren. »Kann ich mich mit ihm treffen? «
Sie sann nach. Henry hatte sie gebeten, ihm zu vertrauen, doch jetzt hatte Zsuzsa die Macht und schien zu überlegen, wie weit diese reichte. »Ich möchte ihn zuerst sehen.«
»Warum gehen wir nicht zusammen hin?«
Sie schüttelte den Kopf und griff nach ihrem Mantel. »Morgen am Moskva Tér. Wissen Sie, wo das ist?«
Auf dem Weg zum St.-Johann-Spital hatte Milo den Moskau-Platz überquert. »Ja.«
»Seien Sie um zwei dort. Er wird kommen.«
»Wie findet er mich?«
»Im Gegensatz zu mir weiß er, wie der echte Milo Weaver aussieht.«
Milo stand auf. »Danke.«
Mit linkischer Förmlichkeit schüttelte er ihr die Hand und bedankte sich erneut. Er ließ ihr mehrere Minuten Zeit, damit sie nicht befürchten musste, von ihm verfolgt
zu werden. Dann schlich er an der Wand entlang aus dem Club, um Parkhall nicht zu begegnen, der hemmungslos lachend mit zwei Frauen zusammensaß, beide Hände unter dem Tisch beschäftigt.
23
Milo erwachte mit einem leichten Kater und einem brennenden Arm, verließ aber sofort das Hotel. Er hatte nur noch knapp hundert Euro, die er in Forint wechselte, um auf der Budaseite des Flusses in einer Bäckerei am Batthyany-Platz ein Frühstück zu kaufen. Er spielte mit dem Gedanken, Alan Drummond eine E-Mail zu schreiben mit der Ankündigung seiner baldigen Rückkehr und der Bitte um ein Treffen mit James Einner, entschied sich aber dagegen. Eigentlich sah er keinen Grund, warum er Drummond beruhigen sollte. Als er den letzten Schluck Kaffee trank, bemerkte er plötzlich auf der Straße einen gut fünfzigjährigen Mann mit schütterem Haar und langem Trenchcoat, der neben einem geschlossenen Reisebüro mit ausgebleichten Plakaten von Ägypten und Rom stand und rauchte.
Wenige Stunden vor dem Treffen mit Gray war leicht zu vergessen, dass er auch noch andere Sorgen hatte. Wie zum Beispiel die Beschatter aus Berlin und London, die er nie identifiziert hatte. Vielleicht arbeiteten sie für die Chinesen, vielleicht für die Deutschen. Oder womöglich war Drummond ein Lügner, und sie handelten in seinem Auftrag. Doch egal, wer sie waren, er wollte sie nicht dabeihaben, wenn er mit Gray zusammentraf.
Er bezahlte die Rechnung und lief ohne einen Blick zurück zur U-Bahn
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