Last Exit
also alle benötigten Informationen, und Sie wollten Ihre Freundin treffen.«
»Ja, aber Rick hat zur Vorsicht gemahnt. Gestern Abend hat er mir endlich grünes Licht für den Anruf gegeben. «
»Und was ist mit mir? Hat er gewusst, dass ich in der Stadt bin?«
»Was glauben Sie denn?« Gray schwenkte die Hand. »Ja. Er meinte, dass Sie vermutlich hier sind. Und dass ich mir keine Sorgen deswegen machen soll.«
Milo überlegte kurz. »Die sind fertig mit Ihnen. Ist Ihnen das klar? Sie sind jetzt auf sich selbst gestellt.«
Gray schüttelte den Kopf. »Es sieht vielleicht so aus, als wäre ich allein und hilflos, aber glauben Sie mir – die stehen hinter mir. Die wollen genauso wie ich, dass diese Story rauskommt.«
Milo ließ den Blick über die Menge im Einkaufszentrum wandern. »Sie sind nicht hier.«
»Diese Leute sind viel versierter, als Sie glauben.«
Milo starrte ihn an. Eine Maske des Selbstbewusstseins, die er hartnäckig aufrechterhielt. Die wichtigste Frage hatte Gray bisher nicht gestellt, nämlich, ob Milo wieder als Tourist arbeitete. Entweder war sie ihm nicht eingefallen, oder er hatte zu große Furcht vor der Antwort. So tickten die Menschen. Sie vermieden die Dinge, die ihnen am meisten Angst einjagten, auch wenn ihnen das Wissen das Leben retten konnte.
Milo verlegte sich auf eine andere Taktik. »Haben Sie eine Ahnung, warum Rick die Abteilung Tourismus entlarven will?«
Gray blinzelte verdutzt. »Wieso wohl? Um sie zu vernichten.
Er will ihr den Garaus machen, damit sie China nicht mehr ins Geschäft pfuscht.«
»Rick ist clever«, erwiderte Milo. »Sobald man den Tourismus abserviert, tritt eine neue Abteilung an seinen Platz. Das weiß er. Verdeckte Geldmittel stehen immer zur Verfügung. Wenn er den Tourismus abschießt, verliert er das einzige Geheimwissen, das er über die Company hat. So arbeiten Spione nicht. Wenn man solche Erkenntnisse hat, behält man sie für sich und benutzt sie. Man gibt sie nur preis, wenn man dazu gezwungen ist.«
Gray nahm die Belehrung gar nicht wahr. Er hob die Hand und tätschelte die Luft. »Rick ist nicht komplizierter als jeder andere normale Mensch, Milo. Die Sache mit dem Sudan hat ihn geärgert. Und ein zorniger Mann kümmert sich nicht um Geheimdienstregeln.«
Milo hatte seine Zweifel. Als Außenstehender konnte Gray kein Gespür dafür haben, dass Spionage bei Leuten wie Rick nur selten heftige Emotionen auslöste. Xin Zhu, Alan Drummond, Nathan Irwin – selbst Milo bis vor einigen Monaten – arbeiteten am Schreibtisch; Verluste und Gewinne waren für sie nicht mehr als ausgefeilte mathematische Gleichungen. Zu den Variablen gehörten Handelsbündnisse, Wirtschaftseinfluss, Atomprogramme, Interessensphären und ab und zu auch lebende Personen. Über Mathematik konnte sich niemand so aufregen.
»Was für ein Mensch ist Rick?«
»Äußerlich? Fett, aber sehr wendig in seinen Bewegungen. «
»Und seine Persönlichkeit? Ist er ein Witzbold?«
»Ach, Sie meinen wegen dem R. « Gray schüttelte den Kopf. »Das war sein einziger Scherz in den vergangenen zwei Monaten. Dem Mann kommt kein Lachen aus. Trinkt nicht, raucht nicht. Wie ein zorniger Priester.«
»Was ist mit Frauen?«
»Darüber haben wir nie geredet. Aber ich habe das Gefühl, wenn er überhaupt eine hat, dann eine kleine Ehefrau daheim in Peking, die er nie im Leben betrügen würde.«
Ein Mann, dem man vertrauen konnte. Dagegen war der betrunkene Schürzenjäger Xin Zhu genau auf Zubenko zugeschnitten. Milo wischte sich über den Mund, um ein Lächeln der Bewunderung zu verbergen.
Und es war nicht nur Bewunderung, sondern geradezu Ehrfurcht, weil er alles mit äußerster Konsequenz durchgespielt hatte. Zhu war ein brillanter Agent.
Henry Gray war von Anfang an nur benutzt worden. Thomas Grainger hatte versucht, ihn posthum zur Enthüllung einer Operation zu benutzen, die ihn inzwischen anwiderte (diese Art von Überdruss war eine der wenigen bei Verwaltungskräften verbreiteten Empfindungen), und dann hatte ihn Xin Zhu benutzt, um anhand der Erkenntnisse über den Tourismus die Existenz eines Maulwurfs in der Abteilung vortäuschen zu können.
Denn es gab keinen Maulwurf, und es hatte auch nie einen gegeben.
Auf einmal konnte er das Lächeln nicht mehr unterdrücken.
Gray beugte sich vor. »Was ist?«
Kein Maulwurf.
Ja, jetzt passte alles wunderbar zusammen.
Es fing an mit einem Brief von Thomas Grainger. Das Schreiben hätte die Kanzlei seines Anwalts nicht
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