Last Exit
Praktikanten abgenommen wurde. Das hieß, dass jeder der sieben einen höheren Anteil des für Verwaltungsaufwand vorgesehenen Gesamthonorars einsteckte. Der Senator zahlte besser als andere, weil er wusste, dass er sich damit auch die Loyalität seiner Mitarbeiter erkaufte.
Jeder war mit einer Mappe repräsentiert, die Milo auf dem Couchtisch in dem staubigen sicheren Haus am Grand Concourse gegenüber vom Franz Sigel Park ausbreitete. Es war kurz vor fünf, und er hatte in den Stunden nach seinem Treffen mit Drummond vier verschiedene Verkehrsmittel benutzt, um seine Verfolger nach New Jersey zu lotsen und sie dann über Bus, Boot, Taxi und Nebengassen abzuschütteln, ehe er – wieder mit dem
Bus – über die George Washington Bridge zurück in Richtung Bronx fuhr. Um sich Eintritt zu verschaffen, hatte er ein Fenster zerbrochen und anschließend notdürftig mit Karton von einer noch vollen Toilettenpapierkiste abgedeckt. Erst jetzt konnte er sich über die Akten hermachen.
Jede enthielt biografische Informationen. Als Erstes war ihm natürlich der Name Jane Chan aufgefallen. Sie hatte noch Verwandte in der Heimat, allerdings nicht auf dem Festland, sondern in Hongkong. Doch nach der Machtübernahme Chinas 1997 war es nicht undenkbar, dass der Guoanbu das weitere Wohlergehen der Familie von der Kooperation ihrer amerikanischen Verwandten abhängig gemacht hatte.
Die anderen hatten entweder gar keine oder nur marginale Verbindungen nach China. Derek Abbott hatte früher für den Abgeordneten Lester Wharton aus Illinois gearbeitet, bis dieser verhaftet wurde, weil er vom chinesischen Honorarkonsul in Chicago Geschenke angenommen hatte im Austausch für sein Entgegenkommen bei handelsrechtlichen Fragen.
Susan Jackson hatte am College chinesische Kultur studiert und konnte sich auf Mandarin halbwegs verständlich machen – was ihr jedoch wenig half, als sie 2005 in Peking verhaftet wurde, weil sie sich einer Demonstration von Bauern anschloss, die dagegen protestierten, dass ihr Land enteignet worden war, um Platz für das Olympiastadion zu schaffen. Danach hatte ihr China kein Einreisevisum mehr erteilt.
James – Jim, wie er genannt wurde – Pearson hatte im letzten Jahrzehnt zweimal Shanghai besucht, um Urlaub mit einer chinesischen Freundin zu machen, von der er sich später trennte und deren Anrufe er nicht beantwortete.
Um acht meldete sich Drummond telefonisch, um sich zu erkundigen, wie er bei der Stellensuche vorankam. Einigermaßen, erwiderte er, aber es gebe noch zu viele Möglichkeiten.
»Dann müssen Sie sie eben eingrenzen«, meinte Drummond.
»Das könnte ich, aber das heißt noch lange nicht, dass meine Kriterien brauchbar sind.« Milo fand die Metapher mit der Arbeitssuche nicht ideal, aber mit ein wenig Fantasie ging es wohl.
»Vielleicht brauchen Sie Hilfe.«
»Haben Sie jemand?«
»Zwei Leute, die auf Stellenvermittlung spezialisiert sind. Ich denke, sie werden sich bis morgen Nachmittag melden.«
»Danke, Alan.«
Er stellte sich aus den Vorräten in dem sicheren Haus ein Abendessen zusammen: eine Dose Cannellini-Bohnen, gefrorenes Bratgemüse und Reis. Aus irgendeinem Grund gab es kein Salz in der Wohnung, also musste er sich mit einer Flasche Sojasoße behelfen.
Während er das schwere, geschmacklose Zeug aß, suchten ihn Zweifel heim. Was hatte er denn in der Hand? Geschichten, die nicht zusammenpassten. Eine zeitliche Unstimmigkeit. Mehr war es letztlich nicht. Im Grunde ging er vor wie Henry Gray: Er fing mit einer Verschwörung an und deutete alle bekannten Fakten so, dass sie zu seiner Theorie passten. So konnte man weder im Journalismus arbeiten noch im Geheimdienst.
Nicht nur hatte er kaum Anhaltspunkte, er traute auch seiner Motivation nicht. Hatte er Nathan Irwin wirklich abgehakt? Oder hatte sein Unbewusstes Phantome geschaffen, um den Senator aufs Korn nehmen zu können?
Er wusste es einfach nicht. Aber trotz ihrer Spärlichkeit, die Fakten existierten, und selbst Drummond war der Meinung, dass man die Sache überprüfen musste.
Mit leiser Verzweiflung musste er einsehen, dass ihm die Akten nichts sagten. Es gab drei Hauptansätze, um in einem konkurrierenden Dienst Fuß zu fassen: Drohungen, Bestechung und Ideologie. Unabhängig von der Verbindung der Berater zu China konnte Xin Zhu sich an jeden von ihnen mit Erpressungsmaterial, einer Geldofferte oder sogar einem Appell an ihr politisches Gewissen gewandt haben. Nach Beginn des Irakkrieges waren viele Männer
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