Last Exit
glauben, dass ihm alle Türen offenstanden. In diesem
Fall musste er in das Zimmer im Keller vordringen, wo die US-Satellitenkommunikation abgehört wurde. Diese erfasste in Echtzeit weltweit alle Grenzstationen und die Ausweise, die beim Passieren vorgezeigt wurden. »Klar, aber Teddy wird es erfahren. In ein, zwei Stunden höchstens weiß er Bescheid. Lohnt sich das wirklich?«
»Wie meinen Sie das?«
Stirnrunzelnd betrachtete er ihren Schreibtisch, vielleicht aus Angst, eine unsichtbare Linie zu überschreiten.
»Machen Sie es«, forderte sie ihn auf.
»Warum lassen wir das Ganze nicht einfach? Wir sind eigentlich sowieso nicht zuständig. Soll sich doch Reich damit rumschlagen.«
Sie überlegte kurz, denn sein Argument war nicht ganz falsch. Erika hatte schon genug am Hals. Warum sollte sie um einen Fall kämpfen, den ihr alle entziehen wollten? Vielleicht lag es ja doch daran, dass die Amerikaner in die Sache verwickelt waren. Anscheinend wuchs sie allmählich in die Rolle der schäumenden Amerikahasserin hinein, die ihr von allen Seiten aufgedrängt wurde.
Nein. Es lag an Adriana. An dem, was sie durchgemacht hatte.
»Wissen Sie«, erklärte sie. »Ich kann entweder meine Arbeit erledigen oder in Pension gehen. Aber so altersschwach bin ich noch nicht.«
Offenbar stellte ihn ihre Antwort nicht zufrieden, doch er zuckte nur die Achseln. »Na gut, in ein oder zwei Stunden wissen wir mehr.«
»Bis dahin hab ich den Fall wieder«, verkündete sie.
Ihr Optimismus beruhte nicht auf Einbildung. Bevor sie in Ungnade gefallen war, hatte Erika an zahlreichen Untersuchungen mitgewirkt, die sich gegen Mitarbeiter des BND richteten. Manchmal wurde sie bei besonders
hartnäckigen Gerüchten eingeschaltet, um zu erforschen, ob es dafür reale Grundlagen gab – eine Position, die ihr nicht gerade neue Freunde einbrachte. In zwei Fällen führten ihre Ermittlungen zu Entlassungen, einmal zu einer Haftstrafe und einmal sogar zu einem Selbstmord, obwohl ihre Ergebnisse in diesem letzten Fall die Rehabilitation des Betroffenen bewirkten.
Im Jahr 1998 war Dieter Reich unter ihr Mikroskop geraten, und jetzt, zehn Jahre später, zog sie die entsprechende Akte heraus – eigentlich die Kopie, die sie für ihre persönlichen Aufzeichnungen angefertigt hatte –, um ihr Gedächtnis aufzufrischen.
BND-Aufpassern waren auf Reichs Kreditkarte Wochenendabbuchungen in Aalsmeer südlich von Amsterdam aufgefallen. Abendessen, Kleider und vor allem Hotelzimmer mit Doppelbetten. Reich war seit fünfzehn Jahren verheiratet, und seine tschechische Frau Dana hatte sich an diesen Wochenenden zu Hause aufgehalten.
Es ging nicht darum, dass er eine Affäre hatte. Es ging darum, dass er es versäumt hatte, den Namen seiner Geliebten zur Überprüfung anzugeben. Diese Aufgabe musste nun Erika übernehmen.
Haqikah Badawi war eine dreiunddreißigjährige ägyptische Doktorandin der Ökonomie an der Universität Amsterdam. Sie hatte Reich 1996 bei einer seiner Reisen nach Brüssel kennengelernt, wo sie als Praktikantin im EU-Büro für öffentliche Angelegenheiten tätig war. Ab dem Jahr darauf besuchte er sie, sooft er einen plausiblen Vorwand für eine Dienstreise fand, mit dem er seine Frau täuschen konnte.
Badawi stammte aus einer angesehenen und progressiven Kairoer Familie, die ihr Geld in der undefinierbaren Sparte Import/Export verdient hatte. Ihre Kommilitonen
waren zwar politisch aktiv, legten aber keine Anzeichen von Radikalität an den Tag. Gelegentlich schrieb sie einen Artikel für das Wochenblatt European Voice , dessen Mitherausgeber mit ihr befreundet war. Intelligent, gebildet und attraktiv – die einzige Frage, die sich Reich aus psychologischen Gründen natürlich nicht stellte, war, warum sie für einen unscheinbaren deutschen Bürokraten, der fünfundzwanzig Jahre älter war als sie, die Beine breit machte.
Nach drei Wochen und einer Exkursion in den verhassten Außendienst gelangte Erika zu der Einsicht, dass das Unmögliche eingetreten war. Diese junge Ägypterin war tatsächlich in Dieter Reich verliebt. Eine echte Erklärung für dieses Rätsel fand sie zwar nicht, aber aus der Unterhaltung mit Badawi schloss sie, dass Reich die Studentin an einen geliebten Onkel in Kairo erinnerte. Ein wenig verwirrt kehrte Erika nach Pullach zurück, in der Erkenntnis, dass Reich zwar wegen seiner Geheimniskrämerei gerügt werden musste, dass aber keine weiteren Maßnahmen gegen seine Liaison erforderlich waren.
Doch da war
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