Last Exit
gestehen und auf die Kündigung warten. Nur dass dann noch die Abschlussbefragung folgen würde. Die Enthüllung der hochverräterischen Verbindung zu seinem Vater. Die heimliche Kugel in den Kopf.
Als sie zu Ende war, setzte Erika Schwartz wieder ihr verstörendes Lächeln auf und klatschte wie ein Kind in die fetten Hände. »Sie wurde gerettet! Mihai ist ein Heiliger, zumindest würden ihn die Medien so nennen, wenn sie die Story ausschlachten könnten. Aber Sie und ich, wir wissen es besser, nicht wahr? Er ist ein Trottel. Er hat sein Geschäft hergeschenkt für das Leben einer kleinen Göre, die so dumm war, in diesen Bus zu steigen.«
Am liebsten hätte er geschrien: Schluss! Aber er tat es nicht. Stattdessen starrte er ihr in die blauen Augen und konzentrierte sich darauf, seine Kehle freizuhalten. Er brachte einen einzigen, kurzen Halbsatz heraus. »Eine schreckliche Geschichte.«
Erika bewunderte und hasste ihn für seine Kälte. War dieser Tourist ein liebender Ehemann und Vater oder nicht? »Schrecklich, sicher, aber was macht es schon, wenn man nicht gerade Stanescu heißt?«
Er blinzelte mit den rot geränderten Augen, die als einziges äußeres Anzeichen darauf hindeuteten, dass ihn die Geschichte beeindruckt hatte. Dann räusperte er sich. »Wahrscheinlich haben Sie recht. So was passiert jeden Tag. Wenigstens wurde sie gerettet.«
»Stimmt«, erwiderte sie. »Aber Sie kennen ja diese Leute aus dem Osten: Sie lernen nie dazu. Selbst die einfachsten Lektionen muss man ihnen mit dem Vorschlaghammer einbläuen. Ihre Eltern kannten zwar die genauen Hintergründe nicht, doch sie wussten, dass die Kleine nach Deutschland gewollt hatte. Also haben sie sich um ein Visum beworben. Und bald darauf war Adriana wieder im Westen. Wie alle anderen Kinder ist sie zur Schule gegangen und hat Freunde gefunden. In ihrer Einfalt hat sie geglaubt, dass das ganze Leben noch vor ihr liegt. Dass sie die Vergangenheit hinter sich lassen kann. Und dann, ja, dann sind Sie aufgetaucht. Richtig?«
Er überlegte sich seine Antwort. »Hat vielleicht jemand eine Zigarette?«
»Da gibt wohl jemand seine guten Vorsätze auf«, meinte Oskar.
»Gustav«, sagte Erika.
Der Angesprochene nahm seine Schachtel heraus, zündete eine an und gab sie Weaver. Zuerst behagte ihm der Geschmack offenbar nicht, doch schon beim dritten Zug inhalierte er tief.
Schließlich redete er. »Ich bin selbstständig, Frau Schwartz. Ja, ich habe für die Company gearbeitet, aber das ist schon eine Zeit lang her, und ich war auch nie ein Geheimagent oder irgendwas in dieser Richtung. Anscheinend halten Sie mich für etwas, das ich nicht bin. Ich war nur Sachbearbeiter – meistens habe ich lediglich Zeitschriften ausgewertet. Dummerweise bin ich dann mit den Finanzen in Schwierigkeiten gekommen. Sie haben mich rausgeschmissen, und mir war das ganz recht, aber meine Rente war natürlich auch weg. Also hab ich mich auf Versicherungen verlegt – so was braucht doch jeder. Na ja, nicht so viele Leute, wie man meinen möchte.
Die meisten Auslandsamerikaner glauben, dass sie ewig leben. Oder vielleicht haben sie mir nicht getraut. Eine Möglichkeit, die ich allmählich ins Auge fassen muss. Sehen es einem die Leute an, dass man ein Mörder ist? Ich meine, ist man da irgendwie gebrandmarkt?«
Es war enttäuschend. Hätte es einen Unterschied gemacht, ihm die Zigarette vorzuenthalten? Wahrscheinlich nicht. Weaver hatte damit nur einen Moment Zeit gewonnen, um sich seine alberne Geschichte zurechtzulegen. Sie erhob sich und blickte auf ihn nieder. »Ich glaube, Sie sollten noch ein bisschen fernsehen. Heinrich, Gustav – sorgen Sie bitte dafür, dass er nicht eindöst.«
Die beiden nickten zustimmend, und sie stieg langsam die Treppe hinauf. Sichtlich ungeduldig folgte ihr Oskar. Alle schwiegen, vor allem Milo Weaver. Zweifel an ihrem Plan beschlichen sie. Dann hörte sie Rada Stanescus Schluchzen im Fernsehen. Das machte ihr neue Hoffnung.
15
Erika zog sich in ihr Schlafzimmer im ersten Stock zurück, während Oskar unten im Gästezimmer nächtigte. Heinrich und Gustav benutzten abwechselnd die Liege. Milo durfte sich auf dem Sofa ausstrecken, wurde aber jedes Mal, wenn er die Augen aufschlug, von den endlos sich wiederholenden Medienberichten über Adriana Stanescu begrüßt, die stumm über den Bildschirm flimmerten.
Beim Frühstückskaffee in der Küche sann Erika darüber nach, ob sie sich vor der Arbeit noch einmal mit Weaver unterhalten
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