Last Lecture - die Lehren meines Lebens
hätten wir uns diese Zeit nicht genommen.« Da war etwas dran, und ich fragte mich, wie oft sie den »Papierkram« anführte, um ihren Patientinnen die Angst zu nehmen.
Was auch immer die Wahrheit war, ihre Worte halfen jedenfalls. Dann nahm mich der Anästhesist zur Seite.
»Sie haben eine Aufgabe heute Nacht, und Sie sind der einzige Mensch, der sie erfüllen kann. Ihre Frau ist auf halbem Wege in den Schockzustand. Wenn es passiert, können wir sie behandeln, aber es wäre nicht einfach für uns. Deshalb müssen Sie uns helfen, dass sie ruhig bleibt. Wir wollen, dass Sie sie wach halten.«
Wie oft hört man von der aktiven Rolle, die angehende Väter bei der Geburt spielen: »Atmen, Honey. Ja, gut, weiteratmen.« Mein Vater fand diese Beihilfekultur immer eher amüsant. Er ging Cheeseburger essen, als sein erstes Kind geboren wurde. Aber jetzt hatte man mich mit einer echten Aufgabe betraut. Der Anästhesist war geradeheraus, und ich spürte, welche Dringlichkeit sich hinter diesem Auftrag verbarg. »Ich weiß nicht, was Sie ihr sagen sollten oder wie Sie es sagen sollten, ich vertraue darauf, dass Sie es selbst herausfinden. Halten Sie sie nur von der Klippe fern, wenn sie Angst kriegt.«
Sie begannen mit dem Kaiserschnitt, und ich hielt Jais Hand, so fest ich nur konnte. Ich konnte sehen, was vor sich ging, sie nicht. Also beschloss ich, ihr mit ruhiger Stimme alles zu erklären, was gerade geschah. Ich würde ihr die Wahrheit sagen.
Ihre Lippen waren blau. Sie zitterte. Ich rieb ihre Finger, dann hielt ich ihre Hand in meinen beiden Händen und versuchte die Operation auf eine direkte, aber zugleich beruhigende Weise zu beschreiben. Und Jai trug das Ihre bei, strengte sich verzweifelt an, bei uns zu bleiben, ruhig zu bleiben, bei Bewusstsein zu bleiben.
»Ich sehe ein Baby«, sagte ich, »da kommt ein Baby!«
Mit ihrer tränenerstickten Stimme gelang es ihr nicht, die härteste aller Fragen zu stellen. Aber ich hatte die Antwort schon für sie parat: »Es bewegt sich.«
Und dann stieß das Baby, unser erstes Kind Dylan, einen Klagelaut aus, wie du ihn noch nicht gehört hast. Das schiere Mordio. Die Schwestern lächelten. »Großartig«, sagte jemand. Frühchen, die völlig schlaff herauskommen, haben immer die größten Probleme. Aber die, die völlig gepisst auf die Welt kommen und sofort ein gewaltiges Protestgeheul anheben, das sind die Kämpfer. Sie blühen und gedeihen.
Dylan wog gerade mal etwas über zwei Pfund. Sein Kopf hatte ungefähr die Größe eines Baseballs. Aber die gute Nachricht war, dass er prächtig von allein atmete.
Jai war überwältigt von Gefühlen und vor Erleichterung. Ich sah, wie ihre blauen Lippen im Lächeln wieder eine normale Farbe annahmen. Ich war so stolz auf sie. Ihre Courage erstaunte mich. Hatte ich sie davon abgehalten, in den Schockzustand zu gleiten? Ich weiß es nicht. Aber ich hatte versucht, alles nur Mögliche zu sagen und zu tun
und zu fühlen, um sie bei uns zu halten. Ich hatte versucht, nicht in Panik zu geraten. Vielleicht hat es geholfen.
Dylan wurde auf die Frühchenstation verlegt. Mir wurde bewusst, dass Eltern, die dort ein Baby liegen haben, ganz besondere Rückversicherungen und Beruhigungsmaßnahmen von den Ärzten und Schwestern brauchen. Und dem Team der Magee-Frauenklinik gelang es wunderbar, allen Eltern zwei völlig konträre Informationen zugleich zu vermitteln: Sie erklärten ihnen unermüdlich, dass ihr Kind etwas ganz Besonderes sei und sie sich voll und ganz auf seine einzigartigen medizinischen Bedürfnisse konzentrierten; und dann, dass sie sich absolut keine Sorgen zu machen brauchten, weil hier schon Millionen Babys durchgebracht worden seien, denen es kein Deut anders ging als ihrem Kind.
Dylan brauchte nie ein Beatmungsgerät, trotzdem empfanden wir jeden Tag aufs Neue diese intensive Angst, dass es eine schlechte Wendung mit ihm nehmen könnte. Es fühlte sich einfach viel zu früh an, um unsere neue Dreipersonenfamilie zu feiern. Jedesmal, wenn Jai und ich unsere tägliche Fahrt ins Krankenhaus machten, waren wir von dem unausgesprochenen Gedanken beherrscht: »Wird unser Baby am Leben sein, wenn wir dort ankommen?«
Einmal trafen wir ein, und Dylans Inkubator war verschwunden. Jai brach vor Aufregung fast zusammen, mein Herz hämmerte. Ich griff die nächste Schwester buchstäblich am Revers und brachte nicht einmal vollständige Sätze heraus. Die Angst röchelte ein Stakkato aus mir heraus: »Baby. Name Pausch.
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