Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
selbst Schuld in sich gefühlt hat, daß sie … wie soll ich das ausdrücken? … Professor Konrad zu sehr bedrängt hat, daß sie ihn besitzen wollte? Und halten Sie es für möglich, daß sie sich sogar mit Selbstmordgedanken getragen hat, besonders bei ihrem letzten Besuch hier, als Sie nicht anwesend waren?»
Der Pater zögerte, schien für einige Augenblicke in sich gekehrt zu sein, um die Antwort sorgfältig abzuwägen. «Als Theologe werden Sie mich verstehen. Ich möchte das in mich gesetzte Vertrauen auch einer Verstorbenen gegenüber nicht gänzlich brechen – das habe ich Ihnen ja bereits angedeutet –, zumal die von uns geführten Gespräche das Beichtgeheimnis nicht unberührt ließen. – Ich kann Ihnen soviel sagen, ja, da war auch Schuld. Und nein, da trügt mich meine Menschenkenntnis sicher nicht, Selbstmordgedanken lagen ihr fern.»
Philipp Laubmann respektierte die Zurückhaltung Pater Erminolds. Dieser fing an, umständlich in seinem Habit zu wühlen, mal die eine Seite raffend, bald wieder die andere, dabei jeweils einen Zipfel des Gewandes so festhaltend, daß in Philipps Phantasie der Faltenwurf barocker Heiligenfiguren auftauchte, vor allem das Bild des heiligen Rochus, des Pestheiligen, der in den Darstellungen immer sein Gewand anhebt, um wehklagend die Pestbeulen an seinem Bein vorzuführen.
Pater Erminold brachte jedoch ein Stück Papier zum Vorschein, das Laubmann als ein Totenbildchen identifizierte: ein kleines Faltblatt, in dem neben Gebeten und frommen Sprüchen das Bildnis und die Lebensdaten eines Verstorbenen abgedruckt werden. Auf der Vorderseite war ein Gemälde zu sehen, das den auferstandenen Christus zeigte. «Das haben Sie bestimmt noch nicht», sagte der Pater und reichte Dr. Laubmann das Totenbildchen hin. Der faltete es auf und erblickte die Fotografie der Frau, über die er so oft gesprochen hatte. Darunter las er den Namen Franziska Ruhland.
«Woher haben Sie das?» fragte Laubmann entgeistert und vernahm, daß es der Pater, nachdem er von ihrem Tod erfahren hatte, in der Klosterdruckerei hatte anfertigen lassen. Zuvor allerdings hatte er Professor Konrad telefonisch um das Foto und um dessen Zustimmung gebeten, daß er die Herstellung der Totenbildchen übernehmen dürfe. Der Professor habe sich zwar zurückhaltend gegeben, die Sache aber dann geschehen lassen.
«Möglicherweise hat es ihn gestört, zu diesem Zeitpunkt den Tod seiner Geliebten schon so dokumentiert zu wissen», mutmaßte der Pater.
Das Foto von ihr hatte Konrad sicher in glücklicheren Tagen aufgenommen. Sie sah schön und sehr lebendig darauf aus, mit zarten Gesichtszügen. «Brotkorn Gottes bin ich, und durch die Zähne der Tiere werde ich gemahlen, damit ich als reines Brot Christi erfunden werde. Ignatius von Antiochien, Brief an die Römer», las Philipp. «Ein außergewöhnlicher Spruch», urteilte er und wollte das Bildchen dem Pater zurückgeben.
«Behalten Sie es bitte, sie sollen ja verteilt werden.» Nachdem Laubmann es nochmals nachdenklich betrachtet hatte, machten sie kehrt und begaben sich schweigend wieder zum Kloster, wo sie sich voneinander verabschiedeten. Philipp Laubmann genoß eine Weile die letzten Sonnenstrahlen. Gelöst schlenderte er um die Kirche herum. Etwas störte ihn freilich. Er wunderte sich; denn meistens konnte er in der Umgebung abgeschiedener Kirchen ruhig vor sich hin meditieren. Dann fiel ihm erneut das Geschwätz der Händler auf, die aus ihren Buden heraus mit den Wallfahrern redeten, anpreisend und beinahe marktschreierisch. – Und nicht der Theologe, sondern der Detektiv Laubmann hatte mit einem Male eine Eingebung, eine Eingebung zum Rosenkranz.
«Das ist die Lösung!» rief er bald genauso laut vor sich hin wie die Händler, so daß sich ein paar ältere Frauen in ländlicher Tracht befremdet zu ihm umdrehten. Die Stichhaltigkeit der Eingebung wollte gleich überprüft sein, da konnten ihn die kitschigen Kreuze und Kreuzchen, Plastikwasserpistolen für Kinder oder die Kerzen nicht im geringsten ablenken. Den von Josef Maria Hüttenberger geschenkten Rosenkranz trug Laubmann, für eventuelle Vergleiche, immer bei sich.
Während der Heimfahrt stoppte er die Zeit, wie lang man brauchte, um vom Kloster Heiligenberg mit dem Auto in die Stadt zu gelangen. Es dauerte vierzig Minuten. Schnell begab er sich, noch ganz angetan von seiner Eingebung, ins Polizeirevier zu Glaser.
«Ich bin wieder weitergekommen – in Heiligenberg!»
schallte es
Weitere Kostenlose Bücher