Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Glaser begeistert und ohne Begrüßung entgegen. Der Kriminalhauptkommissar reagierte mißgelaunt. Er beschäftigte sich mit viel profaneren Dingen. So regte es ihn auf, daß seine Frau jetzt mit dem Essen wieder warten müßte, daß ihm im Dienst mehr und mehr aufgebürdet würde, «aller möglicher Kleinkram» und neue Akten, so daß man nicht einmal richtig Zeit habe, an einem Fall wie diesem dranzubleiben, für den normalerweise eine Sonderkommission gebildet werden sollte.
Laubmann beruhigte den Kommissar. Und vielleicht war es etwas vom Glanze Heiligenbergs, den der Moraltheologe mitgebracht hatte, jedenfalls hellte sich die Stimmung Glasers auf, und zwar schon bevor er etwas von der Eingebung seines Gegenübers vernommen hatte. Der erklärte felsenfest, daß er nun den gesamten Ablauf des Abends vom 22. Oktober aus der Sicht der wichtigsten beteiligten Personen rekonstruieren könne. Es fehle sozusagen nur ein letzter Anlaß, um den entscheidenden Schritt zu tun und den Täter möglicherweise stellen zu können. Und dafür müßten alle Zeugen und Verdächtigen vor Ort anwesend sein, und zwar in St. Vitus, in der Nähe des Tatorts. «Und dieser Ortstermin sollte sehr bald sein», fügte Laubmann hinzu.
XXIX
Vitus, dem sizilianischen Heiligen mit dem Hahn, wird in der gläubigen Verehrung ein außergewöhnlich breites Wirkungsspektrum zugeschrieben. Laubmann dachte, wenn wir schon in seiner Kirche einen ordentlichen polizeilichen Termin anberaumen, sollten wir ein Gebrechen vorbringen, bei dem es sich lohnt, seinen Beistand zu erflehen. Aufregung oder Tobsucht und Massenhysterie unter den Verdächtigen wären so etwas. Stumme, Blinde und Taube sollen bei Mordfällen ja ebenfalls vorkommen. An der Fassade der Kirche war neben anderen Steinfiguren eine modernere Statue des Heiligen befestigt, der jedoch über gewöhnlich Sterbliche wie Dr. Philipp Laubmann hinwegblickte. Der freilich hatte sich für den Tag vorgenommen, keine großen gedanklichen Abschweifungen zuzulassen – weder bei den anderen noch bei sich –, sondern ausschließlich die Aufklärung des Falles voranzubringen. Ob gelänge, was er sich wünschte, war ihm noch recht schleierhaft. Freilich würden durch eine Bündelung der Aussagen und durch die Konfrontierung der Verdächtigen mit den von ihnen im Verlauf der Ermittlungen gemachten Angaben die Umstände des Todes von Franziska Ruhland entscheidend erhellt werden. Davon ging er aus. Und das in der Kirche, die in ihrer überbordenden Pracht erstrahlte wie an dem Tag, als er sie, in jungen Jahren, zum ersten Mal betreten hatte. Das verlieh ihm Zuversicht.
Kriminalhauptkommissar Dietmar Glaser und Kriminalkommissar Ernst Lürmann hatten in Absprache mit dem Ordinariat – die Teilnahme Laubmanns hatten sie vorsorglich nicht erwähnt – einen Lokaltermin für diesen Vormittag festgesetzt und alle Beteiligten, zu denen Dr. Laubmann einfach gehörte, nachdrücklich aufgefordert, zum vorgesehenen Zeitpunkt in St. Veit zu erscheinen. Dazu war Glaser die Rückendeckung durch den Staatsanwalt gewiß. Er beabsichtigte, wenigstens eine möglichst genaue Gesamtrekonstruktion des Falles zu erstellen.
Eingetroffen waren Konrad und die Steinig, Prestl und Hüttenberger – letzterer direkt aus dem «schmerzenden» Tal. Alle Personen versammelten sich im Hauptschiff nahe dem Eingang. Vor dem Eingang postierte der Kommissar sicherheitshalber zwei uniformierte Polizeibeamte. Könnte ja sein, daß ein Verdächtiger plötzlich einen unwiderstehlichen Drang nach Freiheit verspürte.
Pfarrer Gregor Nüßlein fehlte, hatte angeblich Verpflichtungen, und kam eh meist nur nachts hierher, als würde er das Licht meiden. Glaser und Laubmann hielten seine Anwesenheit eh nicht für nötig. Die Kirchenverwaltung hingegen hätte Pfarrer Nüßlein schon gerne vor Ort gesehen – am liebsten wäre Prälat Glöcklein selber dabei gewesen –, aber man hatte sich mit Nüßlein darauf geeinigt, den Mesner zu beauftragen, nach dem Rechten zu schauen. Der sollte jedoch strikt im Hintergrund bleiben.
Während Prestl und Konrad auf Abstand zueinander bedacht waren, sich permanent «übersahen», Melitta Steinig ihrem Gebetsfreund Hüttenberger heimlich einen elfenbeinernen Rosenkranz zusteckte, was Laubmann keineswegs übersah, bemühte sich Glaser, eine konziliante Einleitung zu formulieren. Er redete über die angestrebte Rekonstruktion sowie die Nachforschungen, durch die Laubmann die Aufklärung des Falles vorangebracht
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