Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
sprechen. Er, Erminold, sei bei weitem nicht so von den strikten kirchlichen Regeln überzeugt wie die höheren Kirchenkreise, die etwa den Priesterzölibat für unverrückbar hielten.
«Ich habe entgegen der offiziellen Regel Frau Ruhland sogar zugeraten, Professor Konrad zu heiraten. Ich halte den Zölibat in einem solchen Fall eher für unsinnig! Sie hätten sich meiner Meinung nach beide offen zu ihrer Beziehung bekennen sollen. Wenn ich ihr das so dargelegt habe, war Frau Ruhland oft ganz enthusiastisch.» «Wie hat sich das geäußert?»
«Sie hat sich mit mir begeistert über die Eheschließung und ihr zukünftiges Leben unterhalten. Sie hat sich genau vorgestellt, wie sie dann mit dem Professor zusammensein würde, in einer gemeinsamen Wohnung, wie sie zusammen ausgehen könnten, in Urlaub fahren, in Hotels übernachten und ähnliches. Daß sie vielleicht ein Kind haben würden. – Die Vorstellungen haben sie für Momente sehr glücklich gemacht. Aber das ging so hin und her. Zwischendurch war sie wieder verzweifelt, weil der Traum von der Ehe noch nicht Wirklichkeit war und weil sie Angst bekam, daß es eventuell – auch aufgrund ihrer Gefühle und Bedenken – nie so weit kommen könnte. Ich erinnere mich, bei unserem letzten Gespräch kam sie schon sehr aufgewühlt hier an, und zwar so sehr, daß ich mir Sorgen zu machen begann. Und am Ende des Gesprächs war sie von dem dringenden Wunsch erfüllt, alles mit dem Professor zu besprechen und ultimativ eine Heirat in die Wege zu leiten. Ich hab ihr zum Gebet geraten, wollte sie beruhigen, damit sie nichts überstürzt. – Ich hätte mich mehr darum bemühen müssen. Ich bin nicht frei von Selbstvorwürfen. – Wie heißt es in Psalm 144: ‹Der Mensch gleicht einem Hauch, seine Tage sind wie ein flüchtiger Schatten›.»
«Und wann ist dieses letzte Gespräch gewesen?» Laubmann witterte eine wertvolle Auskunft.
«Da muß ich nicht mal nachdenken: Am 22. Oktober mußte ich verreisen – ich weiß, daß sie an dem Tag gestorben ist. Und am 21. war sie bei mir in Heiligenberg.»
«An diesem Tag haben Sie Frau Ruhland zum letzten Mal gesehen?»
«Wenn Sie mich so fragen … definitiv: ja. Aber, es hat sich noch was ereignet. Seltsamerweise hat Frau Ruhland mich nämlich am nächsten Abend, das war eben jener 22. Oktober, unbedingt noch einmal sprechen wollen.»
«An dem Tag, an dem der Unfall passiert ist?» Laubmann konnte sein Überraschtsein nicht verbergen.
«Ich kann mich sehr gut an das Datum erinnern; ich war ab diesem Tag für zwei Tage zu einem Vortrag in einer Akademie eingeladen. Und als ich am 23. abends zurückgekommen bin, hat mir ein Mitbruder geschildert, wie am Vorabend, also am 22., so um Viertel vor zehn jemand ganz heftig an der Pforte geläutet und geklopft hat. Der Mitbruder hat sich natürlich gewundert, weil es sehr spät war. Im Kloster schlafen wir nämlich um diese Zeit oft schon, weil wir zeitig die Laudes beten, unser Morgenlob.» «Ich bemühe mich auch, Gebetszeiten einzuhalten, wenigstens ab und zu ins Stundenbuch zu schauen», lobte sich Laubmann seinerseits.
«Für einen Theologen nicht unangemessen, wie ich meine. Das Beten ist eine Frage wahrer geistiger Übung.» «Und die Person an der Pforte war Franziska Ruhland?» «Ganz recht; unser Mitbruder hat Frau Ruhland sofort erkannt. Er sagt, sie hat ein weißes Kostüm getragen, mit einem luftigen weißen Schal; ganz seltsam. Sie hat sehr aufgeregt gerufen, sie müßte mich unbedingt sprechen, es sei sehr wichtig für sie. Er hatte fast den Eindruck, als ginge es ihr um Leben und Tod. Leider mußte er ihr dann berichten, daß ich bei einer Tagung bin, und sie wegschicken. Daraufhin muß Frau Ruhland recht verzweifelt gewesen sein; deswegen hat sie unser Mitbruder eine Weile nicht aus den Augen gelassen: Sie ist in ihr Auto gestiegen, wo sie einige Minuten einfach nur gewartet hat. Sie wird wohl nachgedacht haben. Und danach sei sie hektisch und energisch losgefahren. Na ja, er übertreibt gern; er kennt sich mit dem Autofahren nicht so aus.»
Laubmann versuchte konzentriert, alle Vorgänge in sein Gesamtbild einzuordnen. Mittlerweile waren sie bei einem Bildstock angelangt. Auf einer Säule befand sich ein würfelartiges Kapitell, in welches das Relief einer Marienkrönung eingemeißelt war.
«Zwei ergänzende Fragen habe ich an Sie.» Philipp sprach mit Bedacht. «Und ich bitte Sie um Ihre ganz persönliche Einschätzung. Glauben Sie, daß Franziska Ruhland
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