Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
und stellte seine eigenen Nachforschungen an. Für den nächsten Tag hatte er eine solche geplant.
XXVIII
Das Licht der niedrig stehenden Herbstsonne brach sich gleißend auf der Straße. Die Luft war hart, klar und erfrischend. Laubmann öffnete in seinem weißen Opel die Luftzufuhr und die Fenster, damit der Sauerstoff überall herein konnte. ‹ Die Sonnenstrahlen ionisieren die Luft ›, hatte er irgendwo gelesen, und er fand, daß sein Atem danach schmeckte. Er genoß die leuchtende Farbigkeit des Herbstes, der die Landschaft so herrlich verändert.
Es wurde eine ungemein entspannende Fahrt. Im Autoradio lief ein nicht allzu feierliches Orgelspiel. Obwohl er klösterlich gestimmt war, war ihm nicht nach Gregorianischen Gesängen zumute. Die CD einer benediktinischen Choralschola würde er ein andermal einlegen. Während der angenehmen Überlandfahrt kam ihm selbst das Automobil, das er sonst nicht unkritisch bewertete, als etwas rundherum Gutes vor.
Schon bald hatte er das Ziel seiner Reise erspäht, die auf einer Anhöhe über dem Flußtal liegende barocke Anlage des Klosters Heiligenberg, die er aus der Ferne im schräg auftreffenden Sonnenlicht erstrahlen sah. Philipp war wirklich beglückt, eines der wichtigsten Werke seines bevorzugten Baumeisters Neumann vor sich zu haben. Die teils weiß bemalten, teils vergoldeten Heiligenfiguren an der Fassade der Wallfahrtskirche luden ihn direkt ein, dieses Himmelreich zu begehen. An diesem Ort war nichts von Gottverlassenheit zu spüren; hier fühlte er sich aufgehoben, als wäre sein beständiges Fragen, wer er sei und was er auf dieser Welt solle, seit langem beantwortet.
Philipp Laubmann wollte in Heiligenberg den Benediktinerpater Erminold Eichfelder treffen, der in enger seelsorglicher Beziehung zu Franziska Ruhland gestanden hatte. Einer der Termine, die Laubmann alleine wahrnahm, denn Glaser reichte es wieder einmal mit den Klerikern. Mit diesem hier hätte er allerdings seine reine Freude gehabt, merkte Philipp, als ihn der Mönch beseelt lächelnd auf dem gepflasterten Platz zwischen Wallfahrtskirche und Klostergebäude begrüßte. Pater Erminold teilte ihm zwar sogleich mit, das Vertrauen, das ihm Franziska entgegengebracht habe, möglichst nicht verletzen zu wollen – aber da Frau Ruhland verstorben sei und der Fall anscheinend schwerer wiege, wolle auch er zu dessen Aufklärung beitragen. Laubmann berichtete zunächst viel über sich selbst, seine theologische Profession, seine Freundschaft zu den Kapuzinern über dem Maintal, sogar über seine Beziehungen zu den Kommissaren. Sie verstanden sich sofort gut. Pater Erminold kam Laubmann mit Erzählungen von sich und seinem Klosterleben entgegen. Der klösterliche Mann um die 70 wirkte mit seinem bis zu den Füßen reichenden schwarzen Habit recht imposant und launig zugleich. Durch sein gewinnendes Aussehen mit den Fältchen im Gesicht, die immerzu ein gütiges Lächeln andeuteten, hatte ein Gesprächspartner augenblicklich das Gefühl, sich auf diesen Menschen innerlich einlassen zu können. Sein ganzer Stolz war die Wallfahrtskirche, die eigentlich die Klosterkirche war, wobei es ihm gefiel, in Dr. Philipp Laubmann auf einen Kenner des Baumeisters gestoßen zu sein. Zuerst wurde Laubmann in das Zentrum der Kirche geleitet, wo die Stelle, an der eine Heiligenerscheinung stattgefunden haben soll, überaus reich verziert und mit Figuren geschmückt war, so daß sie den Hauptaltar in seiner symbolischen Zentralität fast verdrängte. Am meisten fühlte sich Laubmann von der Figur des heiligen Dionysius angezogen, der mit seinem enthaupteten Kopf in der Hand dastand, während das Blut noch aus seinem Hals spritzte. «Das gefällt den Kindern immer sehr gut!» gab der Pater schelmisch zum besten.
«Dann müßte man die Figur als Spielzeug an den Verkaufsbuden vor der Kirche anbieten», scherzte Laubmann. Beide lachten dermaßen, daß sie sich verstohlen umsehen mußten, ob sie nicht die Andacht von Pilgern störten. «Die Verkaufsstände haben sich leider exzessiv ausgebreitet, weshalb wir die Standplätze jetzt begrenzt haben», erwiderte Pater Erminold. Auch Philipp waren die Verkäufer aufgefallen, und ihm kamen gleich die Geschichten über Jesus in Erinnerung, wie er die Händler aus dem Tempel vertreibt – in allen vier Evangelien.
Inzwischen hatten der Pater und sein Gast die Kirche verlassen und einen abgelegenen und eingewachsenen Spazierweg beschritten. Sie begannen über Franziska Ruhland zu
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