Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Aufzug in den Keller, wo sie einem weißen, neonbeleuchteten Flur folgten. Doch bevor sie zu einer schweren Metalltür kamen, mußten sie eine extra beleuchtete Stufe hinuntergehen. Konrad erreichte sie, zögerte einen kurzen Moment und bewegte sich dann so sonderbar ungelenk, daß er zu Boden stürzte. Man hätte fast glauben können, er habe den Sturz absichtlich herbeigeführt, sich zumindest zu wenig dagegen gewehrt, als wollte er den Fortgang der Ereignisse aufhalten.Alles lief herbei, um ihm wieder aufzuhelfen. Man fragte, wie es ihm gehe, ob er sich unwohl fühle, ob man den Termin verschieben solle. Man wollte keinen Skandal.
Konrad gab nur an, daß er einfach gestolpert sei; sonst fühle er sich gut. Tatsächlich war es Schwäche. Als er dann das Haar aus der Stirn strich, sah man ein wenig Blut auf seinem Handrücken, das er selbst gar nicht bemerkt zu haben schien. Es war auch nur eine sehr kleine Stelle, die sich Konrad an der Stirn aufgerissen hatte. Nichts als eine Schramme.
Glaser betrachtete ihn weniger mitleidig als verärgert. Der Verdächtige geriet zum Opfer. Das gefiel ihm nicht. Diese Rolle wollte er ihm nicht zugestehen. Man merkte, daß der Kommissar auf dem besten Weg war, die ganze Szene für Schauspielerei zu halten. Aber Konrad drängte auf ein Weitergehen, auf das «Wahrnehmen des Termins». «Bitte, wie Sie wollen.» Glaser tat so, als liege das ausschließlich im Ermessen Konrads. Mit einem Taschentuch beeilte sich dieser, das Blut an der Stirn wegzutupfen. Durch andere kalt erscheinende Gänge gelangten sie – Konrad nun zwischen Glaser und Lürmann – in das Institut für Rechtsmedizin. Ein Angestellter in weißem Kittel war zur Gruppe gestoßen. Ihm fiel Konrads blutende Wunde auf. ‹Zur Abwechslung mal frisches Blut›, dachte er sich. Zielgerichtet ging der Mann in der Leichenhalle auf ein bestimmtes «Schubfach» zu und zog eine Bahre heraus, nicht ohne vorher ein fahrbares Gestell darunter geschoben zu haben. Auf ein Zeichen Glasers hin hob er das weiße Tuch, das die Leiche verhüllte, am Kopfende an. Alle schauten auf Konrad, nur Konrad schaute teilnahmslos auf die Leiche und sagte nichts. Er rührte sich kaum, zeigte keine Regung. Das gelblich-bleiche Gesicht der Toten war entstellt. «Erkennen Sie die Tote?» fragte Glaser. «Ja. Es ist Franziska Ruhland.»
Stille. Alle wunderten sich über Konrads Ungerührtheit.
Hatte er seine Gefühle so gut im Griff oder war er einfach nur wie erstarrt?
«Notieren Sie das. Er hat sie eindeutig identifiziert.» Das Schließen des Schubfaches erinnerte Erich Konrad an das Zuklappen der Aktendeckel einige Minuten zuvor.
X
Glaser war mit Laubmann verabredet; in dessen Dienstzimmer diesmal, innerhalb der Fakultät. Obwohl Glaser die Universität nicht mochte. Das heißt, er scheute sich vor ihr, empfand allerdings keine übermäßige Ehrfurcht. Er fühlte sich insgeheim sogar angezogen davon, befürchtete aber, man würde es ihm ansehen, daß er nie studiert hatte. Doch die zwei, drei Studenten, denen er begegnete, nahmen ihn kaum wahr oder hielten ihn schlimmstenfalls für einen Dozenten, den sie nicht kannten und daher nicht glaubten grüßen zu müssen. Eine Studentin fragte ihn, ob er eine Petition für die Laienpredigt unterzeichnen wolle. Als er die Theologische Fakultät betreten hatte, war ihm eingefallen, daß er auch Konrad wieder hätte begegnen können. Aber, warum nicht? Es gab nichts vor Konrad zu verbergen. Er sollte ruhig merken, daß die Polizei an dem Fall dranblieb. Konrad war als Verdächtiger schließlich noch lange nicht aus dem Rennen. Im Gegenteil.
Trotzdem gab es im Umfeld der Theologischen Fakultät auch andere Tatverdächtige, die nicht aus dem Blick geraten durften. Warum sollte er Laubmann nicht von sich aus etwas mehr in den Fall einbeziehen, seine Kenntnisse nutzen wie die Kenntnisse eines Informanten, denn, das wußte Glaser, Laubmann würde sowieso seine detektivischen Spielchen treiben und sich in die Polizeiarbeit einmischen. Informierte er Laubmann, würde er von ihm Informationen erhalten. Natürlich mußte er Laubmann Inhalte bieten, dessen war sich der Kommissar bewußt, denn der Herr Theologe war zu gescheit, als daß er ihn mit Bedeutungslosigkeiten hätte abspeisen können. Er mußte sich schon auf einen Dialog mit ihm einlassen. Und Dr. Laubmann war außerdem eitel.
Dieser erwartete neugierig den Besuch des Kommissars. Philipp hatte eine CD von Hildegard Knef aufgelegt. Häufig, wenn es
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