Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
die Dunkelheit hindurch kann ich ja wohl niemanden ‹observieren›.» Höhnisch gab er die «Polizeisprache» wieder oder was er dafür hielt. «Und vor unserer Marienstatue, in der Nische neben dem Beichtstuhl, brennen immer die meisten Kerzen. Das blendet einen, wenn man anschließend ins Dunkle schaut. Das können Sie selbst ausprobieren.»
Vor allem Lürmann starrte eine Zeitlang auf das Kerzenmeer zu Füßen jener weißen Marienstatue, die in dem vielfach flimmernden gelb-rötlichen Licht fast zu zittern schien. Dann wandte er sich zu Glaser um und blickte ihn mit großen Augen an. Er war tatsächlich geblendet. Glaser war nach wie vor bei der Sache. «Wenn Sie sich im Beichtstuhl befinden, wer alles könnte die Kirche betreten oder verlassen, ohne daß Sie das registrieren?» «Im Grunde jeder.»
«Herr Hüttenberger gab weiterhin an, daß er irgendwann zwischen 22 und 23 Uhr bei Ihnen im Beichtstuhl war.» «Dazu schweige ich.»
«Aber vielleicht können Sie uns zumindest mitteilen, wie so eine Beichtsitzung im allgemeinen abläuft, weniger inhaltlich, sondern mehr nach den Formalitäten …» «Das ist ja wieder ein Armutszeugnis, daß Sie das nicht wissen!»
Glaser wurde langsam ernsthaft böse. «Wir wissen, wie's geht.» Lürmann lächelte bestätigend. «Ich möchte jedoch gerne von Ihnen hören, wie es hier zugeht! Wie lang dauert so was in der Regel mit Ihnen als Beichtvater?» «Mit den meisten spreche ich zehn bis zwanzig Minuten. Und das wird gewünscht! Wir gehen nicht leichtfertig mit dem Sakrament der Buße um, in dem Fall dem Ritus der Ohrenbeichte. Ich setze mich mit den Beichtgängern – einzeln natürlich – immer äußerst gewissenhaft auseinander. Danach knien ausnahmslos alle, das ist die Regel bei uns, zu einem längeren Gebet hier im Seitenschiff vor unserer Marienstatue.»
«Sind Sie der einzige Beichtvater?» fragte Lürmann nach.
«Wir haben etliche Priester in unseren Reihen.»
«Und an dem Abend?»
«… war ich der einzige.»
Glaser fuhr mit der Vernehmung fort: «Als Sie den Beichtstuhl gegen Mitternacht verlassen haben, davon gehe ich mal aus, wer war da noch in der Kirche?»
«Ich habe den Beichtstuhl bereits kurz nach 23 Uhr verlassen, weil niemand mehr gekommen ist und weil ich am nächsten Morgen sehr zeitig aufstehen mußte. Ich hatte eine Missionsfahrt anzutreten. Das ist freilich die Ausnahme; sonst bleib ich länger.»
Der Kommissar wollte sich nicht erläutern lassen, was der «Geistliche Rat» unter einer Missionsfahrt verstand. «Und wen haben Sie gesehen?»
«Als ich mich am späten Abend auf den Weg zum Beichtstuhl gemacht habe, waren mehrere Leute in der Kirche, darunter, wie gesagt, auch Herr Hüttenberger und Frau Steinig. Auf dem Rückweg zur Sakristei, in der Nacht also, sind mir nur Herr Hüttenberger und Frau Steinig aufge fallen – es sei denn, jemand war völlig im Dunkeln.Aber ich bin ja kein Mesner, der die Gottesdienstbesucher für die Statistik zu zählen hat.»
«Der wär um diese Zeit schnell fertig gewesen», wollte Lürmann anmerken, unterließ es jedoch aus Höflichkeit. Pfarrer Nüßlein hätte sich sowieso nicht beirren lassen: «Ich hab dann noch mein CD-Gerät, das immer in der Sakristei steht und an die Lautsprecheranlage angeschlossen ist, ausgeschaltet und weggeräumt.»
«Wozu war das dienlich?» Glasers Neugier schwand. «Wir spielen zeitweise etwas Orgelmusik ein, zur stimmungsvollen Untermalung des Gebets. Man darf es mit der Musik freilich nicht übertreiben, damit die Konzentration auf das Gebet nicht beeinträchtig wird.»
Weder Glaser noch Lürmann konnte ob der trüben Stimmung nachvollziehen, warum Philipp Laubmann diesen Kirchenbau so liebte. Sie waren froh, die Kirche verlassen zu können.
XXVII
Der spätere Nachmittag war genausowenig lichtdurchflutet. Dr. Philipp Laubmann hielt sich in seinem Büro in der Fakultät auf – umlagert von aufgeschlagenen Büchern, von Zetteln, Karteikarten und Bleistiften –, denn er hatte Verpflichtungen nachzukommen, und die Arbeit ging ihm nicht aus. Er war jedoch nicht für sich.
Helmut Markowiecz war anwesend, leider, kramte und wuselte, wußte alles besser. Dabei war dieser Student erst im 5. Semester, war also nach der Zwischenprüfung gerade einmal dem Grundstudium entschlüpft. Philipp konnte sich den Nachnamen seiner neuen studentischen Hilfskraft nicht so richtig merken und vermied es deshalb, ihn zu rufen.
Der Lehrstuhl hatte ihm auch in diesem Semester wieder eine
Weitere Kostenlose Bücher