Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
weil er mit dem Unverständnis seiner Gesprächspartner rechnete. Glaser und Lürmann wollten aber von diesen Hintergründen nur wenig wissen. Sie waren hauptsächlich auf die Abläufe in der Tatnacht gespannt, wobei sie durch Hüttenberger bereits Kenntnis davon hatten, daß Pfarrer Nüßlein auch damals eine Beichtgelegenheit angeboten hatte. «Sie haben also in der besagten Nacht die Beichte ausgeübt?» fragte demgemäß Glaser als erstes, um eine Bestätigung zu erhalten.
«Ich habe die Beichte gehört !» hob Nüßlein ausdrücklich hervor.
Glaser ließ sich davon nicht irritieren. «Und wo war das? Zeigen Sie es uns bitte.»
«Hier hinten, im rechten Seitenschiff. In diesem Beichtstuhl!» Nüßlein wies auf eine Art mächtigen barocken Schrank mit drei Türen: eine herausgewölbte höhere in der Mitte, mit Fenster und Vorhang dahinter, und zwei Seitentüren rechts und links daneben. Feine Holzverzierungen begannen rankenartig an den äußeren Türen und flossen bis zur obersten Spitze der Mitteltür hin, wo sie sich an einer nach vorn sich öffnenden hölzernen Muschel brachen. Das Seitenschiff bildete an dieser Stelle eine Kapellennische, die durch eine in den Innenraum gezogene Wand vom Hauptschiff abgeschirmt war.
«In dem Stuhl können Sie zwei Personen auf einmal verhören», bemerkte Lürmann.
Pfarrer Gregor Nüßlein antwortete mit rügendem Ton, daß natürlich immer nur ein Gläubiger allein in einem Beichtstuhl dem Priester beichte. «Viel mehr sage ich Ihnen aber nicht über die Beichten, denn ich unterliege selbstverständlich dem Beichtgeheimnis – sofern Sie damit etwas anfangen können!» In kirchenrechtlich-strenger Manier glaubte Nüßlein das herausstellen zu müssen. «Das Beichtgeheimnis ist wie das priesterliche Amtsgeheimnis rechtlich geschützt, in der Bayerischen Verfassung sogar ausdrücklich. Artikel 144, Absatz 3. Sollten Sie nachlesen.» Pfarrer Nüßlein ereiferte sich und hob mahnend die rechte Hand: «Der heilige Johannes Nepomuk wurde zumindest der Legende nach gerade wegen der Wahrung des Beichtgeheimnisses ermordet.»
«Aber nicht in Bayern?» tat Lürmann erstaunt. «1393 und in Böhmen.»
«Na dann.» Was regte sich dieser Nüßlein nur so auf? Das mit dem Beichtgeheimnis hatte Laubmann den Polizeibeamten allerdings schon vorher dargelegt, was Kommissar Glaser dem Pfarrer gegenüber nicht verschwieg. «Solche Herren kenn' ich», antwortete dieser. «Als Theologe muß Dr. Laubmann das ja wissen.»
«Kennen Sie ihn persönlich?» hinterfragte Glaser. «Nur flüchtig – und dabei soll es bleiben.»
Glaser mußte Laubmann verteidigen. «Sein Interesse an Ihnen ist auch nicht sehr ausgeprägt, wie ich höre. Aber es geht jetzt nicht um Dr. Laubmann, sondern um Herrn Hüttenberger…» Glaser blätterte in seinem Notizbuch. «Herr Hüttenberger gab an, er sei in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens hier in der Kirche gewesen, unter anderem mit Frau Steinig zusammen, die das bestätigt. Können Sie das auch bestätigen?» «Wozu? Wenn es Frau Steinig bereits bestätigt hat?» «Weil sie später gekommen und früher gegangen ist als er.» Der Pfarrer schwieg mürrisch.
«Gibt's in oder an der Kirche eigentlich eine Toilette?» fragte Lürmann dazwischen. «Ich meine, wenn man sich die ganze Nacht hier so aufhält …»
Der Pfarrer gab pikiert zurück. «Ja; warum denn nicht? Neben der Sakristei. Durch die Sakristei kommt man hin. Sie steht aber nicht jedem offen.»
«Die Sakristei oder die Toilette?»
Glaser ließ nicht locker. «Ich frage noch einmal: War Herr Hüttenberger zur angegebenen Zeit in der Kirche ständig anwesend?»
«Ich hab erst ihn allein, dann beide zusammen – also auch Frau Steinig –, na ja, eher oberflächlich wahrgenommen. So richtig erst, als ich zum Beichtstuhl gegangen bin.» «Wann sind Sie in den Beichtstuhl?»
«Meist besteht zwischen neun Uhr abends und Mitternacht Beichtgelegenheit.»
Glaser insistierte. «Und währenddessen blieben beide an dauernd in der Kirche?»
«Genau weiß ich es nicht», antwortete Nüßlein scharf. «Können Sie nicht von Ihrem Beichtschrank aus… Ihrem Beichtstuhl, also von dort aus durch den Vorhang, wenn Sie ihn zurückschieben, nach draußen schauen?»
«Das schon. Aber der Kirchenraum ist vom Beichtstuhl aus wegen der Kapellenwand nur sehr begrenzt einsehbar. Außerdem beleuchten wir die Kirche in den Sühnenächten mit nur ganz wenigen Kerzen. Und durch
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