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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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ist.
    Sie bringen da sehr schwere Beschuldigungen gegen einen Menschen vor, der einen tadellosen Ruf genießt.
    Das weiß ich. Darum bin ich ja zu Ihnen gekommen. Wäre ich gleich zur Polizei gegangen, hätte man mir bestimmt nicht geglaubt. Da stünde sein Wort gegen meines. Aber wenn Sie mir helfen, habe ich vielleicht wenigstens eine Chance. Bitte, helfen Sie mir, Dr. Meloff. Gehen Sie mit mir zur Polizei.
    Ich gehe mit Ihnen, Jane.
    Dann glauben Sie mir also? Dann halten Sie mich nicht für verrückt?
    Ich weiß nicht, was ich von dieser Geschichte halten soll. Aber ich weiß, daß das nicht die Tabletten sind, die ich verschrieben habe.
    Oh, danke, Dr. Meloff. Vielen Dank.
    »Was ist denn so komisch?« fragte Vicki Lewis scharf. »Warum lachen Sie?«
    Jane schüttelte den Kopf. Ihr war klar, daß die Sprechstundenhilfe genug von ihr hatte, aber sie wußte nicht, was sie jetzt tun sollte. Sie konnte natürlich auch ohne Dr. Meloff zur Polizei gehen, aber was würde sie damit erreichen? Selbst wenn sie den Leuten dort ihren Verdacht anvertrauen, ihnen von den Tabletten erzählen, sie zu dem Schließfach im Greyhound Busbahnhof führen und ihnen das blutverschmierte Kleid und das Geld präsentieren würde, würde man ihrer Geschichte höchstens Skepsis,
wenn nicht gar Unglauben entgegenbringen. Sie hatte schließlich gelogen, hatte die Sache mit dem blutverschmierten Kleid und dem Geld verschwiegen, als sie die Polizei das erste Mal um Hilfe gebeten hatte. Und wem würden sie jetzt wohl eher glauben - einer Verrückten, die immer noch nicht wußte, wer sie war, oder dem anerkannten Kinderchirurgen, der ihr Ehemann war und zweifellos auf alle Fragen eine logische Erklärung bieten konnte? Damit wäre sie aber wieder da, wo sie angefangen hatte. Nein, sie wäre sogar noch schlechter dran. Michael hätte dann nämlich alle Beweise, die er brauchte, um sie in eine Anstalt einweisen zu lassen.
    Nein, sie konnte nicht zur Polizei gehen. Noch nicht. Sie mußte warten - vielleicht sogar wieder verschwinden -, bis Dr. Meloff aus dem Urlaub zurückkam. Nur verfügte sie jetzt nicht mehr über die finanziellen Mittel, um untertauchen zu können. Der Schlüssel zu ihrem Schließfach lag in einem Schuh ganz hinten in einem Schrank in einem Haus, in das zurückzukehren sie nicht riskieren konnte. Wenn sie den Leuten im Greyhound-Busbahnhof erklärte, daß sie den Schlüssel verloren hatte, würden die ihr Fach vielleicht öffnen. Nein, das würden sie niemals tun, zumal sie ja weder Geld noch Papiere hatte. Sie mußte sich etwas anderes einfallen lassen.
    Aber es gab keine Alternative. Sie wußte keinen Menschen, der ihr geholfen hätte; keinen Ort, an dem sie sich hätte verbergen können. Sie hatte nur zwei Möglichkeiten: nach Hause zurückkehren und sich Michael stellen oder zur Polizei gehen.
    »Das wär’s dann wohl«, sagte sie laut.
    »Wie bitte?« fragte Vicki Lewis unwirsch.
    Es sei denn, es gelang ihr irgendwie, die Erinnerung herbeizuzwingen: Vielleicht indem sie sich mit so genauen Fakten über ihren Zustand wappnete, daß ihr Unterbewußtsein den Anstoß erhielt, den es brauchte, um die Erinnerung an das, was sich zwischen ihr und Michael abgespielt hatte, wachzurufen. Und dann
konnte sie zur Polizei gehen. Dann hatte sie vielleicht eine Chance.
    »Gibt es hier im Haus eine Bibliothek?« fragte Jane.
    »Bitte?« Die Frage hatte sie offensichtlich nicht erwartet.
    »Gibt es hier im Haus eine medizinische Fachbibliothek?«
    »Unten, im zweiten Stock«, antwortete Vicki Lewis. »Aber nur für das Personal.«
    »Danke.« Jane stand auf und torkelte, eine Hand an die Wand gestützt, aus dem Zimmer. Sie spürte Vicki Lewis ’ Blick in ihrem Rücken, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    Sie folgte der grauen Linie an der Wand zu den Aufzügen und blieb neben einer alten Frau stehen, die dort wartete.
    »Ihnen muß ja schrecklich heiß sein«, sagte die Frau, als sie in die Kabine traten. Die anderen Fahrgäste nahmen größtmöglichen Abstand zu Jane in ihrem rosaroten Wollpullover.
    »Ich hatte keine Ahnung, daß es so heiß werden würde«, erwiderte Jane und richtete ihren Blick auf die Knöpfe an der Schalttafel, als sie merkte, daß niemand sich für ihre Erklärung interessierte. Die Luft in der engen Kabine war abgestanden, es roch durchdringend nach Schweiß, und Jane begriff, daß sie die Sünderin war. Der Aufzug hielt in jedem Stockwerk. Leute stiegen aus, Leute stiegen ein. Die qualvolle Fahrt

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