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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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sämtliche Symptome psychisch schwerkranker Menschen ein. Glauben Sie mir, das ist weiß Gott kein Mittel, das man frisch-fröhlich seinen Freunden empfehlen kann, wenn sie an Schlafstörungen leiden. Sie sollten mal mit Ihrem Freund reden. Machen Sie ihm klar, daß er da mit Menschenleben spielt.« Er schüttelte wieder den Kopf. »Ein Glück, daß Sie nur zwei von den Dingern genommen haben, sonst...« Er brach ab und musterte sie aufmerksam. »Sie haben wirklich nicht mehr geschluckt?«
    Sie lächelte beinahe erleichtert. Sie war nicht verrückt. Die Tabletten, die Michael ihr jeden Tag gab, waren nicht die Tabletten,
die Dr. Meloff verschrieben hatte. Sie waren, weit davon entfernt ein leichtes Beruhigungsmittel zu sein, >ein letztes Mittel‹, dessen länger dauernde Anwendung sie zur Schwerkranken machen konnte. Kein Wunder, daß sie ständig so deprimiert war. Kein Wunder, daß sie morgens kaum aus dem Bett kam, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    »Ich brauche die Tabletten wieder«, sagte sie dem Apotheker beinahe ruhig. »Und ich muß auf dem schnellsten Weg ins Städtische Krankenhaus Boston. Könnten Sie mir das Geld für ein Taxi leihen?«
    »Vielleicht sollten wir besser einen Krankenwagen rufen.«
    »Ich brauche keinen Krankenwagen. Ich muß nur mit jemandem im Krankenhaus sprechen. Bitte, helfen Sie mir.«

20
    »Ich möchte zu Dr. Meloff.«
    Jane blickte zu der schwarzhaarigen jungen Frau hinunter, die vor Dr. Meloffs Zimmer Wache saß und so tat, als wäre sie an ihrem Computer beschäftigt. Die Frau mit den blaßblauen Augen betrachtete Jane mit einer Mischung aus Langeweile und Unsicherheit. Sie weiß nicht recht, was sie von mir halten soll, dachte Jane, während sie die Falten ihrer weißen Hose glattstrich und den langärmeligen rosaroten Pullover geradezog.
    Die junge Frau, deren Namensschild sie als Vicki Lewis auswies, und die unter dem adretten weißen Kittel sicherlich perfekt gekleidet war, musterte Janes unpassenden Aufzug eingehend, ehe sie sagte: »Das geht leider nicht.«
    »Ich weiß, ich habe keinen Termin, aber ich warte gern.« Sie sah sich in dem leeren Vorzimmer um. Es war kein einziger wartender Patient da.

    »Darum geht es nicht.«
    »Er wird mich ganz bestimmt sprechen wollen, wenn Sie ihm sagen, wer ich bin. Mein Name ist Jane Whittaker.«
    »Dr. Meloff ist leider nicht da.«
    »Wie?« Jane sah automatisch auf ihre Uhr. Zum Mittagessen war es noch etwas früh. Vielleicht machte er Kaffeepause. Vielleicht konnte sie ihn in der Kantine finden.
    »Dr. Meloff ist im Urlaub. Er kommt erst in einigen Wochen zurück.«
    »Im Urlaub?«
    »Ja, beim Wildwasser-Kanufahren, oder wie man das nennt. Jedem das Seine.« Vicki Lewis zuckte mit den Achseln. »Wenn Sie für später einen Termin ausmachen wollen...«
    »Nein. Ich kann nicht warten.«
    »Sie können zu Dr. Turner gehen oder einem der anderen Ärzte auf der Station.«
    »Nein, ich muß zu Dr. Meloff.«
    Vicki Lewis blickte stirnrunzelnd auf den Bildschirm ihres Computers. »Dann kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Ich kann Ihnen, wie gesagt, höchstens einen Termin für später geben.«
    »Aber bis dahin kann ich nicht warten.« Jane hörte den plötzlichen schrillen Ton in ihrer Stimme, bemerkte den Ausdruck der Beunruhigung, der in Vicki Lewis’ geisterblassen Augen aufleuchtete, und wußte, daß sie sich erst einmal setzen und überlegen mußte, ehe sie noch etwas sagte oder vielleicht gar eine Dummheit machte. »Kann ich mich einen Moment setzen?«
    Wieder zuckte Vicki Lewis mit den Achseln. Jane ließ sich in einen unbequemen orangefarbenen Sessel an der gegenüberliegenden Wand sinken und holte mehrmals tief Atem, wobei sie sich bewußt war, daß die Sprechstundenhilfe sie mißtrauisch beobachtete. Sie überlegt, ob sie es riskieren kann, mich vor den Kopf zu stoßen, oder ob ich vielleicht eine persönliche Bekannte von Dr.
Meloff bin. Ob ich wirklich ärztliche Betreuung brauche oder eine Irre von der Straße bin, eine frühere Patientin vielleicht, die den guten Onkel Doktor anschwärmt. Trage ich unter meinem babyrosa Pulli vielleicht eine Waffe versteckt? Ist die Hitze oder meine Neurose an meiner feuchten Haut und meinen zitternden Händen schuld?
    »Sind Sie Patientin bei Dr. Meloff?« fragte die junge Frau, die Jane offensichtlich gern loswerden wollte.
    »Ich war vor ungefähr einem Monat bei ihm.« War es tatsächlich einen Monat her? Sie war sich nicht mehr sicher, hatte jedes

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