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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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das weiße Baumwollnachthemd, das er ihr zum letzten Muttertag geschenkt hatte, wieder in die Tiefen des Schranks zurück.
    Sie bürstete sich das Haar, zog es nach hinten und steckte es mit einer straßbesetzten Spange zusammen. Zufrieden betrachtete
sie ihr Spiegelbild. Ganz die arrivierte junge Akademikergattin, wie Michael neckend zu sagen pflegte, der sie lieber mit offenem Haar sah. Sie legte die goldene Armbanduhr um, die er ihr zum zehnten Hochzeitstag geschenkt hatte, und drehte zerstreut den einfachen goldenen Trauring an ihrem Finger, während sie überlegte, ob sie noch aufräumen sollte, ehe sie aus dem Haus ging. Nein, das konnte Paula tun.
    Bei dem Gedanken an die junge Frau, die Michael als Haushaltshilfe engagiert hatte, runzelte sie ein wenig die Stirn. Paula hatte keinen Humor und konnte Jane nicht besonders gut leiden. Jane wußte, daß sie in ihren Augen ein verwöhntes und verhätscheltes Luxusweibchen war, dem das Leben alles in den Schoß gelegt hatte, was es Paula verweigert hatte. Und Paula war vernarrt in Michael. Obwohl Jane die so bitterernste junge Frau nur selten sah, hatte sie das sofort gespürt. Michael allerdings war von einer rührenden Ahnungslosigkeit.
    Wie würde es mir gehen, wenn ich entdecken sollte, daß die beiden ein Verhältnis haben? dachte sie flüchtig und lachte den Gedanken weg. Er war zu absurd. Außerdem würde Michael sie niemals betrügen, davon war sie überzeugt. Wozu sich also mit so unerfreulichen Gedanken belasten? Damit tat sie sich und Michael Unrecht.
    Jane ging nach unten, nahm ihre Handtasche aus dem Garderobenschrank und wollte schon gehen, als ihr Michaels Ermahnung, einen Mantel anzuziehen, einfiel. »Ach was«, sagte sie laut. »Es ist doch Sommer.« Ein kalter Windstoß fuhr ihr ins Gesicht, als sie die Tür öffnete. »Von wegen! Es ist eiskalt«, prustete sie, rannte in den Flur zurück und hängte sich ihren Trenchcoat über die Schultern. »Papa weiß es eben doch am besten.«
    Den ganzen Morgen bummelte sie in Newton herum und machte Einkäufe. Sie dachte daran, Diane anzurufen und sich mit ihr zum Mittagessen zu verabreden, aber da sie nicht wußte,
wie lange ihr Gespräch mit Pat Rutherford dauern würde, beschloß sie, lieber schnell allein eine Kleinigkeit zu essen, ehe sie zur Arlington Private School hinüberfuhr. Weshalb hatte Pat Rutherford dieses Gespräch zur Mittagszeit anberaumt? Und warum gerade heute? Hatte es in dem Rundschreiben nicht geheißen, Elternsprechtag sei Freitag, den 22. Juni?
    Wahrscheinlich schafft sie nicht alle an einem Tag, überlegte Jane, als sie den Wagen auf den Parkplatz neben der Schule steuerte. Nachdem sie ausgestiegen war, holte sie den Zettel, auf dem sie sich die Zimmernummer aufgeschrieben hatte, aus der Manteltasche. »Zimmer 31. Wieso kann ich das nicht behalten? Ach verflixt, ich hab die Milch und die Eier vergessen. Was ist heute eigentlich mit mir los?« Sie merkte, daß sie nervös war. »Was für einen Grund habe ich, nervös zu sein?« fragte sie sich ungeduldig und schob den Zettel wieder in die Manteltasche. »Und wieso halte ich plötzlich Selbstgespräche. Wenn mich einer hört, muß er mich für meschugge halten.«
    Sie betrat das Schulhaus durch die Seitentür und ging schnell die drei Treppen hinauf. Zimmer 31 war am Ende des mit Fotografien dekorierten Korridors. Die Tür war offen. Sie schaute hinein. Kinderzeichnungen und große, aus Buntpapier ausgeschnittene Buchstaben schmückten die Wände. Von der Decke hingen Mobiles aus Papier, und in dem Käfig auf dem Fensterbrett amüsierte sich unermüdlich ein Hamster auf seinem Laufrad. Es war ein helles, freundliches Zimmer. Und es war leer. Jane sah auf ihre Uhr. Fünf vor halb eins.
    Sie kam immer zu früh. Von Kindesbeinen an hatte ihre Mutter ihr eingebleut, wie wichtig es sei, pünktlich zu sein. >Pünktlichkeit ist das Vorrecht der Könige<, hatte sie immer gesagt, obwohl sie selbst fast immer zu spät gekommen war.
    An der mit Bildern geschmückten Wand entdeckte Jane eine Zeichnung von Emily - eine Blumenwiese, auf die eine lachende Sonne hinuntersah.

    Wenn ihre Mutter sich nur an ihre eigenen guten Ratschläge gehalten hätte. Dann hätte sie es auf ihrer Fahrt zum Einkaufen nach Boston nicht so eilig gehabt. Wenn sie nicht erst in letzter Minute losgefahren wäre, wenn sie ein wenig langsamer gefahren wäre...
    »Hallo, Mrs. Whittaker.« Pat Rutherford hatte eine zarte, dünne Stimme, die zu ihrer zierlichen Gestalt paßte.

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