Lauf, Jane, Lauf!
starrte in Caroles besorgtes Gesicht.
»Was ist denn los? Weinst du?«
»Ich habe jetzt keine Zeit!« rief Jane, stieß Carole zur Seite und rannte ins Haus. Jeder Versuch, etwas zu erklären, wäre sinnlos gewesen. Niemals hätte sie Carole davon überzeugen können, daß Michael Emily belästigt hatte. Wer würde ihr so etwas glauben? Nein, jetzt mußte sie als erstes packen und verschwinden. Für Erklärungen war später noch Zeit genug.
Jane warf die Handtasche im Flur auf den Boden und rannte die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Sie hatte das Gefühl, in den Privatbereich einer fremden Person einzudringen. Hast du wirklich hier gelebt? Warst du hier wirklich glücklich? Hatte sie dieses Zimmer, dieses Bett mit einem Mann geteilt, den sie offensichtlich nie gekannt hatte?
Sie sah sich in der Spiegelwand der Schranktüren. Ihr Gesicht war verschwollen und voller Tränenspuren. Kein Wunder, daß alle erschraken, wenn sie sie sahen. Sie sah ja wirklich zum Fürchten aus.
Keinesfalls durfte Emily sie in dieser Verfassung sehen. Sie ging ins Bad, wusch sich Schminke und Tränen vom Gesicht und drückte sich einen kalten Waschlappen auf die geschwollenen Augen. Dann kehrte sie ins Schlafzimmer zurück und zog die Schranktüren auf.
»Hast du mir darum immer diese blöden Kleinmädchenkleider gekauft?« schrie sie, während sie die Sachen von den Bügeln riß und auf ihnen herumtrampelte. »Hast du mich darum so gern in Schleifchen und Rüschen gesehen?«
Sie holte die zwei schwarzen Koffer aus dem Schrank im Gästezimmer, einen Koffer für sie, den anderen für Emily. Sie würde nur wenige Sachen mitnehmen. Wenn sie mehr brauchen sollte, hatte sie ja immerhin fast zehntausend Dollar in den Taschen. Lieber ganz neu anfangen. Die Vergangenheit auslöschen. Reinen Tisch machen.
Sie packte nur das, was sie für unbedingt notwendig hielt. Dann ließ sie sich erschöpft aufs Bett fallen, das Bett, das sie seit elf Jahren mit Michael teilte. Sie spürte seine Nähe, fühlte sich so fest in seine Umarmung eingeschlossen, daß sie kaum noch Luft bekam. Sie fühlte seine Lippen an ihrem Hals, seine Hände auf ihren Brüsten, seine Zunge, die ihren Bauch abwärts wanderte. Er hüllte sie in sich ein, in seinen Geruch, seine Berührung, sein Wesen. Fast zwölf Jahre lang bin ich nun ein Teil von dir, flüsterte seine Stimme. Ich bin für immer ein Teil von dir.
»Nein!« schrie Jane und sprang vom Bett auf. Sie stieß ihren Koffer um, und die eingepackten Kleidungsstücke fielen auf den blaßgrünen Teppich. »Du bist kein Teil von mir. Niemals!« Hastig kniete sie nieder, stopfte die Sachen wieder in den Koffer, zog den Reißverschluß zu und schloß ab. Sie trug diesen und den anderen, noch leeren Koffer, hinüber in Emilys Zimmer.
Den fertig gepackten Koffer ließ sie an der Tür stehen und trug den anderen zu Emilys Bett. Zuerst zog sie die Schubladen der Kommode auf, nahm Emilys Unterwäsche und Strümpfe heraus, ihre Schlafanzüge und Nachthemden, die T-Shirts und Shorts. Dann ging sie zum Schrank, warf ein paar Hosen und Röcke in den Koffer, suchte die wenigen Kleider heraus, die Michael nicht gekauft hatte. Sie nahm nur die Sachen, die sie allein für Emily ausgesucht hatte. Sie wollte nichts mitnehmen, was sie und Emily an Michael erinnern würde, nichts, was Zeugnis ihrer früheren Zusammengehörigkeit war.
Ich bin seit fast zwölf Jahren ein Teil von dir, hörte sie ihn wieder sagen. Ich bin für immer ein Teil von dir.
»Nein!« schrie sie wie vorher. Sie mußte weg hier, sich von dieser Lüge befreien, die sie gelebt hatte. Sie sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde war vergangen. Du lieber Gott, wieviel Zeit hatte sie mit sinnlosem Nachdenken vertan? Sie mußte los, sich in Bewegung setzen, dieses Haus hinter sich lassen.
Sie hob den Koffer vom Bett, lief mit ihm zur Tür, hob den zweiten Koffer auf und wollte zur Treppe, als ihr Emilys Decke einfiel, die Babydecke, mit der sie immer schlief. Es war das einzige, worum Emily gebeten hatte. Sie mußte sie mitnehmen.
Sie stellte die Koffer ab und lief zum Bett zurück, riß die Tagesdecke herunter und suchte unter den Kissen nach der kleinen weißen Wolldecke mit den blauen Blümchen, mit der Emily sich immer an der Nase kitzelte. Wohin hatte sie sie getan, als sie am Morgen das Bett gemacht hatte?
»Ach, Mist, ich hab keine Zeit!« schrie sie und fand die Decke endlich unter dem Kopfkissen.
»Jane, was geht hier vor?«
Beim Klang von Michaels Stimme
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