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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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verdammt langsam vorwärts?
    »Ist etwas nicht in Ordnung, Mrs. Whittaker?« fragte die Schalterangestellte, als sie schließlich an die Reihe kam.
    Jane starrte die junge Schwarze, die Samantha hieß, wortlos an. Sie konnte nicht sprechen. Die Tränen rannen ihr über das Gesicht.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Mrs. Whittaker?«
    »Ich möchte dieses Konto schließen.« Jane griff in ihre Handtasche, zog ihr Scheckbuch heraus und schob es über die Theke.
    Samantha suchte ihre Karte heraus. »Soll ich das Geld auf eines Ihrer anderen Konten überweisen?«
    »Nein. Ich möchte es bar abheben.«

    »Das sind aber fast zehntausend Dollar.«
    »Ich weiß. Ich brauche das Geld.« Jane wischte sich die Nase mit dem Handrücken. Verdammte Heulerei!
    »Mrs. Whittaker, ich weiß, es geht mich nichts an, aber Sie sind offenbar sehr erregt, und...«
    Zum zweiten Mal lachte Jane laut heraus. Jetzt gafften alle sie an, auch Trudy Caplan, die Filialleiterin. Jane ignorierte die beunruhigten Blicke. »Ich möchte nur mein Geld haben.«
    »Mrs. Whittaker«, sagte Trudy Caplan und schob Samantha zur Seite. »Wollen Sie nicht in mein Büro kommen und eine Tasse Kaffee trinken?« Trudy Caplan war groß, mit einem üppigen Busen. Das blondgesträhnte Haar trug sie in einem altmodischen Knoten.
    »Ich brauche keinen Kaffee. Ich brauche mein Geld. Und ich habe es ziemlich eilig, darum möchte ich es gern gleich haben, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Wieso kümmerte sie sich darum, ob es der Frau etwas ausmachte? Es war doch ihr Geld.
    »Wenn Sie in irgendeiner Weise mit unserer Arbeit nicht zufrieden sind...« begann die Filialleiterin.
    Wieso glaubten Frauen immer, alles sei ihre Schuld?
    »Darum geht es nicht«, versicherte Jane eilig. »Eine Freundin von mir ist in Schwierigkeiten, und ich habe versprochen, ihr zu helfen. Das ist alles. Wahrscheinlich kann ich das Geld schon in ein, zwei Tagen wieder aufs Konto legen.«
    Das schien Trudy Caplan zufriedenzustellen. Sie überließ Jane wieder Samanthas Betreuung und kehrte in ihr Büro zurück.
    »Sie müssen uns nur ein paar Formulare ausfüllen«, sagte Samantha.
    »Wozu das denn?«
    »Wenn das Konto geschlossen werden soll...«
    »Ich habe keine Zeit, jetzt Formulare auszufüllen. Wieviel Geld muß ich auf dem Konto lassen, damit es bestehen bleibt?«
    »Fünf Dollar.«

    »Schön, dann lassen Sie fünf Dollar drauf.«
    »Und den Rest wollen Sie bar haben?«
    »Ja.«
    »In Hundertern?«
    »Ja.««
    Samantha verschwand zum Tresor und kehrte mit mehreren Bündeln Hundert-Dollar-Noten zurück, die sie vor Jane abzählte und dann zu ordentlichen kleinen Stapeln zusammenheftete. »Und vierundsiebzig Dollar und dreiundzwanzig Cents.« Sie drückte Jane die losen Scheine und Münzen in die Hand und schob die Notenbündel über den Tisch.
    Jane stopfte das Geld in die tiefen Taschen ihres Trenchcoats. Im stillen dankte sie Michael voll bitteren Spotts dafür, daß er sie ermahnt hatte, sich warm anzuziehen. Ihre Handtasche war immer zum Brechen vollgestopft. So war es viel einfacher, zumindest vorläufig. Zu Hause würde sie die Tasche wechseln, eine größere nehmen, die zum Transport dieser Geldberge besser geeignet war.
    Auf der Windschutzscheibe ihres Wagens klebte ein Strafzettel. Sie zerriß ihn und ließ die Schnipsel auf die Straße fallen. Noch mehr Umweltverschmutzung. Ein hoffnungsloser Fall, dachte sie, genau wie du. Eine Versagerin als Frau und als Geliebte. Warum hätte Michael sich sonst einem Kind zuwenden sollen? War sie so unzulänglich auf diesem Gebiet, daß sie ihn ihrer Tochter in die Arme getrieben hatte? O Gott, war es vielleicht ihre Schuld?
    Sie fuhr nach Hause, fast blind vor Tränen. Keiner der Menschen, die sie je geliebt hatte, hatte sich auf sie verlassen können. Sie hatte ihren Vater nicht vor dem Herzinfarkt geschützt, der ihn getötet hatte, als sie gerade dreizehn war; sie hatte ihre Mutter nicht beschützt, die zweifelsohne heute noch am Leben wäre, wenn Jane auf die Veranstaltung an Emilys Schule verzichtet hätte und mit ihr nach Boston gefahren wäre; sie hatte es nicht
geschafft, ihren Mann glücklich zu machen, ihm eine Frau zu sein, wie er es erwartete und verdiente; und sie hatte es nicht geschafft, ihr einziges Kind zu behüten und zu beschützen.
    »Ich bin total unfähig«, schluchzte sie und knallte die Autotür zu. »Ich bin nichts wert. Zu nichts zu gebrauchen.«
    »Jane? Jane, was ist denn los? Was ist denn passiert?«
    »Was?« Jane

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