Lauf, Jane, Lauf!
irgendeinen Kerl auf der Straße so in Rage bringst, daß er dich beinahe mit seinem Auto umfährt; wenn du einen armen Hund, der nur seine Arbeit tut, solange beschimpfst, bis er dich beinahe niederschlägt; wenn du einem verrückten alten Kerl im U-Bahnhof mit der Handtasche eins über den Schädel gibst, nur weil er so unverschämt war zu glauben, er dürfte auch ein bißchen Platz beanspruchen.«
»Du verdrehst alles.«
»Ach ja? Das sehe ich ganz anders. Ich sehe, daß es mit dir im Lauf der Zeit immer schlimmer geworden ist. Am Anfang war es amüsant. Wir fanden es alle amüsant. Jane, der Hitzkopf. Da gab’s bei Einladungen doch immer was zu lachen. Aber dann war es auf einmal nicht mehr so amüsant. Es wurde lästig, beinahe beängstigend. Was läßt Jane sich als nächstes einfallen? Hoffentlich bringt sie nicht mal einer um. Ich habe versucht, mit dir zu reden. Ich wollte dich warnen. Aber Jane läßt sich von niemandem sagen, was sie zu tun oder zu lassen hat. Jane Whittaker setzt sich über alle Regeln hinweg. Jane Whittaker ist unberechenbar, und mittlerweile weiß leider keiner mehr, wer diese Frau eigentlich ist. Ich bin seit elf Jahren mit ihr verheiratet, aber ich kenne sie heute kaum wieder. Wer sind Sie, meine Dame?«
»Ich verstehe überhaupt nicht, was du da redest. Das hat mit all dem nichts zu tun.«
»Findest du? Was meinst du denn, wer dir diese absurde Geschichte, die du dir da zusammengebraut hast, abnehmen wird? Glaubst du, diese Beschuldigungen werden mir allein schaden? Bildest du dir ein, ich werde untätig zusehen, wie du meine Karriere und meinen guten Ruf zerstörst?«
»Ach, ich pfeife auf deinen kostbaren guten Ruf. Mir geht es um meine Tochter.«
»Muß ich dich erst daran erinnern, daß sie auch meine Tochter ist?«
»Daran sollte ich dich erinnern! Wie konntest du es wagen!«
»Ach, jetzt fang nicht wieder mit dem Quatsch an, Jane. Wenn du unbedingt einem leicht beeinflußbaren Kind glauben willst, dem dieser ganze Unsinn wahrscheinlich von seiner neurotischen Lehrerin eingeblasen wurde, kann ich dich nicht daran hindern. Aber ich warne dich! Geh mit diesen Anschuldigungen ja nicht an die Öffentlichkeit. Denn dann werd ich dich fertigmachen. Und wenn ich mit dir fertig bin, werden sie vor dem Gerichtssaal mit der Zwangsjacke auf dich warten.«
Jane biß die Zähne zusammen, um nicht loszuschreien. Sie wußte, daß Michaels Worte keine leere Drohung waren. Wenn sie mit ihren Anschuldigungen an die Öffentlichkeit ging, verlangte sie von ihrer siebenjährigen Tochter, daß sie sich gegen ihren Vater stellte, den sie liebte; verlangte von den Leuten, daß sie einem kleinen Mädchen und nicht ihrem bekannten und allseits geschätzten Vater glauben sollten. Wem würde man da wohl eher Glauben schenken?
Was für eine Chance hatte sie überhaupt? Und was für eine Chance hatte Emily?
»Also gut«, sagte Jane und wurde sich ihrer Überlegungen erst bewußt, als sie sie in Worte faßte. »Ich gehe nicht an die Öffentlichkeit. Ich gehe nicht zur Polizei. Ich sage keinem Menschen auch nur ein Wort von dieser Sache. Du kannst deine Karriere und deinen guten Ruf behalten. Und dafür...«
»Und dafür?« fragte er listig und selbstzufrieden.
»Dafür ziehst du aus. Auf der Stelle.«
»Und Emily?«
»Emily? Emily bleibt selbstverständlich bei mir. Ich bekomme das alleinige Sorgerecht.«
»Ja, glaubst du denn im Ernst, ich verzichte auf das Sorgerecht für das einzige Kind, das ich je haben werde?«
»Ich glaube ganz einfach, daß du keine Wahl hast.«
»Ach ja? Glaubst du das? Du gestattest, daß ich das anders sehe.«
»Wenn du einen Sorgerechtsprozeß anstrengen solltest, zeige ich dich wegen Kindesmißbrauchs an. Dann verlierst du alles.«
»Das glaube ich nicht. Ich denke, die Gerichte wissen genau, wie rachsüchtig manche Frauen sein können, wenn die Scheidung ansteht. Sie wissen, daß manche Frauen vor nichts zurückschrecken und alle möglichen gemeinen und unerhörten Beschuldigungen erfinden. Nach allem, was ich gelesen habe, haben die Gerichte für hysterische Frauen, die mit ungerechtfertigten Beschuldigungen wegen sexuellen Mißbrauchs hausieren gehen, nicht viel übrig.«
»Die Beschuldigungen sind nicht ungerechtfertigt.«
»Wer sagt das? Ist Emily von einem Arzt untersucht worden? Hat irgend jemand an ihr körperliche Spuren sexuellen Mißbrauchs festgestellt? Hast du irgend etwas anderes vorzuweisen als die Phantasien deiner Tochter und den Verdacht
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