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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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Chance bekommen, von vorn anzufangen, und hatte sie achtlos und gedankenlos zusammen mit ihrem Mantel und ihrer Unterwäsche auf den Müll geworfen. Und jetzt steckte sie fest. Steckte mitten in irgendeiner monströsen Maschine, die ihre Innereien fotografierte und zweifellos auch in ihre Seele linste. Steckte mitten in einem Geheimnis, das wahrscheinlich am besten ungelöst blieb.
    Keine Panik, sagte eine feine Stimme immer wieder. In ein paar Minuten ist es vorbei.
    Was ist vorbei? fragte sie die Stimme. Was ist dann vorbei?
    Ruhig. Ruhig. Reg dich nicht auf. Mach dich nicht verrückt. Du bekommst höchstens Ärger, wenn du dich aufregst.

    Was soll das heißen? Was für Ärger? Wieso bekomme ich Ärger, wenn ich mich aufrege?
    Laß locker. Versuch, ganz ruhig zu bleiben. Du weißt doch, daß es gar nichts bringt, die Beherrschung zu verlieren.
    Woher weiß ich das? Woher weißt du das? Wer bist du?
    Die Stimme ging im Summen der Maschine unter. Sie hörte nichts mehr als Stille, fühlte sich in den Mutterleib zurückversetzt, als treibe sie in einem Zwischenzustand dahin und warte darauf, geboren zu werden. Hinter ihren geschlossenen Lidern sah sie Farben, große Kleckse in Violett und Lindgrün. Sie spielten vor ihren Augen wie in einem Kaleidoskop, kamen explosionsartig auf sie zu und zogen sich in die Dunkelheit zurück, nur um Sekunden später von neuem zu erscheinen. Folge uns, winkten sie. Wir führen dich durch die Finsternis.
    Sie folgte ihnen, bis sie vom blendenden Licht einer strahlenden Sonne verschluckt wurden, und sie selbst sich in einem, wie ihr schien, tropischen Regenwald wiederfand. Große Blätter hingen feucht von exotischen Bäumen herab, unter denen sie durch wuchernden Dschungel stolperte. Die Erde schien an ihren Beinen emporzuwachsen. War sie im Begriff zu versinken? War sie in Flugsand geraten?
    Ein leichter Wind umfächelte ihren Kopf, drohte sich um ihren Hals zu legen wie eine Boa Constrictor, löste sich dann plötzlich auf, verlor seine Kraft, verflüchtigte sich. Sekunden später trat er als stetiges Summen wieder in Erscheinung, aber nicht länger bedrohlich. Sie merkte, daß ihr Körper plötzlich aus dem engen Schacht befreit war.
    »Na bitte. War das nun so schlimm?«
    »Dr. Meloff?«
    Er lächelte. »Und dabei habe ich Sie nicht einmal gefragt, wer ich bin.«
    Verwirrt setzte sie sich auf. Wo war sie? Genauer - wo war sie gewesen? »Ich muß eingeschlafen sein.«

    »Na wunderbar. Sie hatten wahrscheinlich ein bißchen Ruhe nötig.«
    »Ich hatte einen ganz merkwürdigen Traum.«
    »Wenn man bedenkt, was im Moment in Ihnen vorgeht, ist das nicht sehr verwunderlich.« Er tätschelte ihre Hand. »Die Schwester bringt Sie jetzt wieder nach oben. Ich werde inzwischen versuchen, die Ergebnisse der Untersuchung auszuwerten. Ich komme gleich nach.«
    Knapp eine Stunde später kam er mit der Nachricht, daß alles normal und in Ordnung sei.
    »Und wie geht es jetzt weiter?«
    »Das weiß ich selbst noch nicht«, antwortete er, und sie lachte, dankbar für seine Aufrichtigkeit.
    »Sie haben meine Frage vorhin nicht beantwortet«, sagte sie. Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich meine, warum Sie mich dauernd fragen, wer Sie sind.«
    »Ich wollte prüfen, ob Sie vielleicht an einer Krankheit leiden, die man Korsakoff-Syndrom nennt«, antwortete er etwas verlegen.
    »Das klingt wie ein Buch von Robert Ludlum.«
    Er lachte. »Stimmt. Haben Sie was von ihm gelesen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »War nur eine Frage.«
    »Und was ist dieses Korsakoff-Syndrom?«
    »Es geht mit Gedächtnisverlust einher. Der Patient kann sich von einer Minute zur nächsten an nichts mehr erinnern und fabuliert daher ständig.«
    »Er fabuliert? Sie meinen, er lügt?« Er nickte. »Fabulieren«, sagte sie. »Ein hübsches Wort.«
    »Ja, nicht wahr?« stimmte er zu. »Jedenfalls, nennt man dem Patienten seinen Namen, und zwei Minuten später hat er ihn vergessen und denkt sich darum irgend etwas aus.«
    »Aber warum denn?«

    »Menschen, die an einer Amnesie leiden, finden es oft nützlich, anderen das Ausmaß ihrer Störung nicht preiszugeben. Auf diese Weise können sie alles mögliche über sich selbst erfahren, ohne daß die anderen etwas merken.«
    »Das hört sich nach Schwerarbeit an.«
    »Niemand hat behauptet, daß es eine Lappalie ist zu vergessen, wer man ist.«
    Sie lächelte. »Und Sie sind zu dem Schluß gekommen, daß ich nicht am Korsakoff-Syndrom leide?«
    »Ich würde sagen, wir können Mr. Korsakoff

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