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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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Geringschätzung?
    »Wenn ich Alkoholikerin wäre«, sagte sie langsam, nachdem sie ihren Zorn hinuntergeschluckt hatte, »wären dann jetzt nicht Entzugserscheinungen bei mir feststellbar? Ich habe seit zwei Tagen nur Mineralwasser getrunken, und es hat mir überhaupt nichts ausgemacht.«
    »Es hat wenig Sinn, herumzuspekulieren. Warten wir doch einfach, bis wir die Ergebnisse der Blutuntersuchungen bekommen.«
    Schieben wir dir doch einfach so ein Reagenzglas mit Blut in den verklemmten Arsch, du eingebildeter, hochnäsiger Heini, dachte sie.
    Das EEG zeigte, daß ihre Hirnströme absolut normal waren. Dr. Klinger zog ein Mündchen der Selbstzufriedenheit. »Und jetzt?« fragte sie, während er einige, zweifellos unleserliche Notizen auf seine Agenda warf.

    »Wir warten auf die Ergebnisse der Bluttests«, sagte er wie zuvor. »In der Zwischenzeit spreche ich mit Dr. Meloff wegen eines CT’s.«
    Er hatte ihr den Rücken zugewandt und war schon halb aus dem Zimmer, während er sprach, so daß sie erst verstand, was sie vorhatten, als Dr. Meloff es ihr einige Zeit später erklärte.
    Dr. Meloff, ein Neurologe, wurde hinzugezogen, als die Blutuntersuchungen keine Hinweise auf Schilddrüsen-, Leber- oder Nierenstörungen zeigten, keine chemischen Störungen, keinen Vitaminmangel, keine Spur von Alkoholismus, Drogenmißbrauch, AIDS, Syphilis oder anderen gehirnschädigenden Krankheiten. Er war ein gutaussehender Mann mit vollem dunklen Haar, das an den Schläfen zu ergrauen begann, und einem natürlichen Lächeln, das gut zu seiner ungezwungenen Art paßte.
    »Ich bin Dr. Meloff«, sagte er, während er ihre Karte ansah und den Kopf schüttelte. »Sie sind also heute nicht ganz auf dem Posten, hm?« meinte er mit einem leichten Lachen.
    Sie mußte ebenfalls lachen.
    »Das ist schon besser«, sagte er und prüfte ihre Pupillen wie vor ihm der Assistenzarzt und der Stationsarzt. Dann drehte er ihren Kopf hin und her. »Wer bin ich?« fragte er beiläufig.
    »Dr. Meloff«, antwortete sie automatisch.
    »Gut. Folgen Sie mit den Augen meinem Finger.« Er zog mit dem Finger einen Pfad durch die Luft. »Gut. Jetzt hier herüber.« Sein Finger entfernte sich aus ihrem Gesichtsfeld. »Nein, nicht den Kopf bewegen. Genau. Gut. Sehr gut.«
    »Was ist sehr gut?«
    »Auf den ersten Blick scheint organisch alles in Ordnung zu sein. Sie erinnern sich nicht an Schläge auf den Kopf? Oder an einen Sturz?« Seine Finger tasteten ihre Kopfhaut ab, massierten ihren Nacken.
    »Nein, nichts. Zumindest kann ich mich nicht erinnern.«

    »Und woran können Sie sich erinnern?«
    Sie stöhnte. »Muß ich das alles noch mal wiederholen? Ich hab es doch schon der Polizei erzählt und den anderen Ärzten. Es steht bestimmt irgendwo auf dem Krankenblatt...«
    »Tun Sie mir den Gefallen.«
    Er sagte es so freundlich, daß sie nicht widerstehen konnte. Der gute Dr. Klinger kann sich von diesem Mann eine Scheibe abschneiden, dachte sie und bemerkte, daß Klinger das Zimmer verlassen hatte.
    »Über mich selbst weiß ich überhaupt nichts«, erklärte sie Dr. Meloff. »Ich weiß nur, daß ich plötzlich an der Ecke Cambridge und Bowdoin Street stand und nicht wußte, was ich da zu suchen hatte, wie ich hingekommen war und wer ich war. Ich hatte keine Papiere bei mir; ich war allein, ich wußte nicht, was ich tun sollte. Erst bin ich ein paar Stunden herumgeirrt, dann habe ich mir ein Zimmer im Lennox Hotel genommen.«
    »Unter welchem Namen?«
    »Ich hab mir einen ausgedacht.« Sie zuckte die Achseln. »Cindy McDonald. Die Polizei hat ihn schon überprüft. Es gibt mich nicht.«
    Er lächelte. »Oh, es gibt Sie. Sie sind vielleicht ein bißchen zu dünn, aber es gibt Sie. Wer bin ich?«
    »Dr. Meloff.« »Gut. Sie sind also ein paar Tage im Lennox Hotel geblieben und dann zur Polizei gegangen?«
    »Ja.«
    »Wie haben Sie das Hotel bezahlt?«
    »Ich fand etwas Geld in meinen Manteltaschen«, antwortete sie und hätte beinahe gelacht.
    »Warum sind Sie nicht sofort zur Polizei gegangen?«
    Sie holte tief Atem, um sich für die Lüge zu wappnen, die folgen würde. Auf der Polizei hatte man ihr die gleiche Frage gestellt. Sie gab dem Arzt dieselbe Antwort, die sie den Beamten
gegeben hatte. »Ich war so durcheinander«, begann sie. »Ich glaubte fest, daß mein Gedächtnis gleich wiederkommen würde. Ich weiß eigentlich nicht, warum ich nicht sofort zur Polizei gegangen bin«, schloß sie und sah dabei die ordentlichen kleinen Bündel von

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