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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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jetzt?«
    »Nur eine kleine Untersuchung. Nein, bleiben Sie ruhig liegen. Ich verspreche Ihnen, es tut überhaupt nicht weh. Versuchen Sie, sich zu entspannen. In zehn Minuten ist es vorbei.«
    Sie war im Städtischen Krankenhaus Boston, einem 450-Betten-Krankenhaus vornehmlich für Sozialfälle und Mittellose. Die Polizei hatte sie hierher gebracht, nachdem festgestellt worden war, daß sie nicht auf der Fahndungsliste und auch nicht auf der Vermißtenliste stand. Sie hatten ihre Fingerabdrücke genommen, die nach Washington geschickt werden sollten, und ein Foto von ihr gemacht, das sie der Presse übergeben wollten; aber vorher sollte sie im Krankenhaus untersucht werden. Sie gaben dem Städtischen Krankenhaus den Vorzug vor dem elitären Allgemeinen Krankenhaus von Massachusetts, da sie sich sagten, daß jemand, der ohne Identität war, wahrscheinlich auch keine Krankenversicherung hatte.
    Die Polizeibeamten ließen sie in der Obhut eines nervösen Assistenzarztes zurück, der aus ihr ebensowenig klug wurde wie sie selbst. Er stellte ihr die gleichen Fragen, die schon die Polizei ihr gestellt hatte. Wann haben Sie gemerkt, daß Sie eine Gedächtnisstörung haben? Wo genau befanden Sie sich? Wohin sind Sie gegangen? Hatten Sie getrunken? Können Sie uns irgend etwas über sich selbst sagen? Sie antwortete, so gut sie es vermochte.
    Dann begann der Assistenzarzt, sie zu untersuchen. Zunächst wollte er feststellen, ob ihre Pupillen auf Licht reagierten. Das taten sie. Also ging er weiter zu Blutdruck und Puls, die beide in Ordnung waren. Er ließ ihren Urin untersuchen und tastete ihren Kopf nach äußeren Verletzungen ab. Nachdem er festgestellt hatte, daß alle Befunde normal waren, holte er den Stationsarzt,
einen bärtigen und eisern humorlosen jungen Mann, der aussah, als hätte er noch nie in seinem Leben gelächelt, und dem auch in der Tat im Lauf der halben Stunde, die er für seine Untersuchung brauchte, kein einziges Lächeln entschlüpfte.
    Auch Dr. Klinger, wie er sich ernst und gemessen vorstellte, prüfte ihre Pupillen, ihren Puls und ihren Blutdruck. Danach ordnete er eine ganze Batterie von Blutuntersuchungen an. Als sie fragte, wozu die gut seien, erklärte er mit einem merklichen Anflug von Ungeduld, man wolle versuchen, diverse körperliche Ursachen ihrer Amnesie auszuschließen. Als sie ihn drängte, sich genauer auszudrücken, reagierte er gereizt, als sei die Antwort selbstverständlich, und sagte, es ginge ihnen darum, Alkohol, Drogen, Aids und tertiäre Syphilis als Ursachen ihres Zustands auszuschalten. Sie riß erschrocken die Augen auf. An tertiäre Syphilis hatte sie überhaupt nicht gedacht.
    »Glauben Sie im Ernst, ich könnte Syphilis haben?« Sie fand die Vorstellung beinahe erheiternd.
    »Nein, eigentlich nicht«, antwortete er, und es hörte sich an, als mache ihm das Sprechen Mühe. »Wenn Sie schwarz wären, hielte ich es eher für möglich.«
    Die gedankenlose Grausamkeit seiner Bemerkung empörte sie. Ich bin nur deshalb ein Kuriosum für sie, weil ich eine Weiße bin, dachte sie. Wäre meine Haut schwarz, würde man mich als Trinkerin oder Drogensüchtige oder Syphilitikerin im letzten Stadium abtun, die ihre Krankheit durch ihre Promiskuität selbst verschuldet hat. Unwillkürlich ballte sie die Hand unter ihrer Handtasche zur Faust. Am liebsten hätte sie sie dem ehrenwerten Doktor ins Gesicht gedonnert.
    »Was untersuchen Sie noch?«
    Sein Ton war trocken, unpersönlich. »Wir machen eine Reihe von Stoffwechseluntersuchungen, um Störungen der Schilddrüse, der Nieren und der Leber auszuschließen. Ebenso chemische Störungen und Vitaminmangel.«

    »Und wie lange wird das dauern?«
    »Die Ergebnisse müßten in ungefähr einer Stunde da sein. Inzwischen machen wir ein EEG.«
    »Da werden mir doch ein Haufen Drähte in den Kopf gesteckt?«
    Er würdigte sie erst einer Antwort, als die Drähte in angemessenen Abständen in ihrer Kopfhaut befestigt waren.
    »Beim EEG werden die Hirnströme aufgezeichnet. Anormalitäten werden sofort sichtbar. Aber ich glaube nicht, daß wir bei Ihnen etwas finden werden.«
    »Warum sagen Sie das?«
    Er zuckte nur wortlos die Achseln.
    »Sie halten mich für eine Alkoholikerin, nicht wahr?«
    »Ich halte das für eine Möglichkeit.«
    Sie war jetzt so zornig, daß es sie all ihre Beherrschung kostete, nicht vom Untersuchungstisch zu springen und ihm an die Gurgel zu gehen. Behandelte er alle seine Patienten mit dieser rücksichtslosen

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