Lauf, Jane, Lauf!
ihrem Leben erinnern. Und da war Emily, ein süßes, rosiges Baby mit blondem Flaumhaar und kleinen Hamsterbäckchen. Jane sah ihre Tochter größer werden, eben noch ein Baby, das auf dem Wohnzimmerteppich herumkroch, nun schon ein kleines Mädchen, das beherzt in einen See sprang.
»Du bist ein bezauberndes kleines Ding«, sagte Jane leise und blätterte rasch das letzte Album durch. Lächelnd stellte sie fest, daß ihre Tochter sie als bevorzugtes Fotomodell von Michael verdrängt hatte. Hatte sie das übelgenommen? War sie auf ihre kleine Tochter eifersüchtig gewesen?
Sie rieb sich die Stirn, als sie beginnende Kopfschmerzen fühlte. Bitte gib, daß ich mich nicht als eine dieser schrecklichen, unsicheren Mütter entpuppe, die ihre eigenen Kinder hassen. »Tu mir nur das nicht an«, sagte sie laut, während sie dem Dröhnen des Staubsaugers über ihrem Kopf lauschte.
Paula war wirklich ein Ausbund an Fleiß. Wenn sie nicht kochte, machte sie sauber. Wenn sie nicht sauber machte, goß sie die Pflanzen. Wenn sie nicht die Pflanzen goß, schüttelte sie die Betten auf oder mahnte Jane, daß es Zeit war, ein Schläfchen zu machen oder Zeit, ihre Tabletten zu nehmen. Zeit zu verschwinden, hätte Jane ihr gern gesagt, die sich von der Tüchtigkeit dieser Frau bedrängt und eingeengt fühlte. Lieber Gott, bin ich so eine Frau? fragte sie sich. Eine Frau, die sogar auf die Zugehfrau eifersüchtig ist? Und ihren Fleiß und ihre Fürsorge nicht zu schätzen weiß? Kein Wunder, daß ich deprimiert bin, sagte sie sich. Ich bin eine ganz kleinliche, widerliche Person.
Sie versuchte, sich die junge Frau vorzustellen, die mit dem Staubsauger von Zimmer zu Zimmer wanderte. Dem Ton des Dröhnens nach zu urteilen war sie jetzt wahrscheinlich gerade in Michaels Arbeitszimmer, sehr besorgt darum, dem verehrten Dr. Whittaker alles recht zu machen.
Wie lange hatte sie schon gewußt, daß Paula in Michael verliebt war? Und wie sehr hatte ihr das zu schaffen gemacht? Konnte sie es Paula ernstlich übelgenommen haben? War es nicht ganz natürlich, daß man den Arzt anschwärmte, der dem eigenen Kind das Leben gerettet hatte, noch dazu, wenn er ein so attraktiver und liebenswerter Mann war wie Michael?
Dennoch flößte die Frau ihr Unbehagen ein. Konnte Paula etwas mit ihrer Amnesie zu tun haben?
Na klar, dachte sie. Du wolltest sie umbringen, und jetzt rächt sie sich, indem sie dir dein Haus von oben bis unten saubermacht. Eine ganz verschlagene Person, das.
Jane legte die Alben wieder an ihren Platz im Bücherregal und überlegte, was sie mit sich anfangen sollte. Sie konnte fernsehen, mal sehen, was sich inzwischen bei den Jungen und Nutzlosen getan hatte. Aber sie fühlte sich schon nutzlos genug; also kein Fernsehen. Ich könnte lesen, dachte sie und sah zu den Reihen von Büchern hinauf, fragte sich, welche Bücher sie schon gelesen hatte, ob sie Romane oder Sachbücher bevorzugte, Liebesgeschichten oder Krimis. Michael hatte ihr erzählt, daß sie im Hauptfach Englisch studiert und dann in einem Verlag gearbeitet hatte. Aber was genau hatte sie da gearbeitet? Was für eine Stellung hatte sie gehabt?
Sie wünschte, Michael würde nach Hause kommen, damit sie ihm all diese Fragen stellen konnte, die sie sich selbst nicht beantworten konnte; ob sie zu einem Psychiater gehen sollte, oder vielleicht sogar zu einem Hypnotherapeuten. Sie wünschte, er würde heimkommen, damit sie sich erkundigen konnte, wie sein Tag verlaufen war, und ihm von ihrem berichten konnte; damit sie so tun konnte, als führten sie ein ganz normales Leben. Mußte er denn wirklich gleich am ersten Tag ihrer Rückkehr bis zum Abend ausbleiben?
Rückkehr woher?
Sie ging wieder in den Wintergarten. Sie wußte rein gefühlsmäßig,
daß dies der Raum war, in den sie sich zurückzuziehen pflegte, wenn sie nachdenken wollte. Sie hatte unverkennbar ein glückliches Zuhause. Was konnte sich ereignet haben, daß sie dies alles hatte verlassen und vergessen wollen?
Sie strich mit den Fingern über die Blätter der vielen Pflanzen und prüfte automatisch, ob sie genug Wasser hatten. Aber natürlich. Paula, die tüchtige, hatte dafür gesorgt.
Sie ließ sich in einen der Korbsessel sinken und starrte ins Leere. Ich sollte mich schämen, dachte sie. Wenn jemand ein schweres Leben hat, dann ist es Paula, eine ledige Mutter mit einem behinderten Kind, ohne Geld und ohne Aussichten, aber sie stellt sich dem Leben. Ich hingegen, eine wohlhabende Frau mit einem
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