Lauf, Jane, Lauf!
liebevollen Mann und einem gesunden Kind, fliehe vor dem Leben, sitze hier herum, suhle mich im Selbstmitleid. Nur- hatte nicht Dr. Meloff ihr erklärt, daß die hysterische Amnesie auch eine Art der Lebensbewältigung war, ein Mittel, um mit einer unerträglichen Situation überwältigender Angst, Wut oder Demütigung fertigzuwerden?
Aber was für eine Situation kann das gewesen sein? fragte sie sich und schlug mit der Faust auf die Armlehne ihres Sessels. Wie lange soll der jetzige Zustand noch dauern? Er ist doch unerträglicher als alles andere!
»Was ist denn?« Sie fuhr schreckhaft zusammen, als sie plötzlich Michaels Stimme hörte. »Geht es dir nicht gut? Hast du Schmerzen?«
»Nein, nein. Es geht mir gut«, versicherte sie hastig und sprang auf. »Ich bin so froh, daß du da bist.« Im nächsten Moment lag sie in seinen Armen. »Du hast mir gefehlt«, flüsterte sie halb verlegen. Sie war wie erlöst, ihn zu sehen.
»Das ist schön.« Er küßte sie auf die Stirn. »Das hatte ich mir erhofft.« Er trat einen Schritt zurück und sah sie prüfend an, ohne sie jedoch loszulassen. »Was ist los? Ist etwas passiert? Hat Paula sich nicht richtig um dich gekümmert?«
»Nein, nein, das ist es nicht«, antwortete Jane und fragte sich gleichzeitig, was es denn eigentlich war. »Vielleicht habe ich einfach zuviel erwartet. Ich weiß nicht. Ich dachte wahrscheinlich, sobald ich wieder zu Hause wäre, würde die Erinnerung wiederkommen.«
»Das kommt schon. Du mußt nur ein bißchen Geduld haben. »
»Wie war dein Tag?« fragte sie mit einem befangenen Lachen.
Er nahm sie wieder in die Arme. »Lang und anstrengend. Er strich ihr über das Haar. »Es tut mir so leid, daß ich heute morgen schon in aller Frühe weg mußte. Ich hatte eigentlich freinehmen wollen, aber es kam ein Notfall nach dem anderen, und jedesmal, wenn ich anrief, sagte mir Paula, du schliefst.«
Jane stieß einen Laut aus, der halb Lachen, halb Prusten der Geringschätzung war. »Ich habe wirklich unheimlich viel geschlafen. Das müssen die Tabletten sein.«
»Nein, so schläfrig können die Tabletten dich nicht machen«, meinte er. »Ich glaube eher, du bist erschöpfter, als dir bewußt ist.«
»Ich hatte wieder so verrückte Träume.«
»Wieder von Schlangen?«
»Nein, Gott sei Dank. Diesmal waren es nur Bösewichter in roten Autos, die mich überfahren wollten.«
»Erzähl.«
Sie berichtete ihm den Traum in allen Einzelheiten. Er war ihr noch so präsent wie im Moment ihres Erwachens.
»Das war kein Traum«, sagte er leise, als sie geendet hatte.
»Wie meinst du das?«
»Das ist wirklich geschehen. Vor ungefähr zwei Jahren, glaube ich.«
»Da wollte so ein Irrer mich umbringen, nur weil ich ihm sagte, daß er kein Licht hat?«
»Da wollte so ein Irrer dich umbringen, weil du ihm sagtest, er solle sich verpissen.« Er lachte unwillkürlich. »Du bist ein ganz
schöner Hitzkopf«, sagte er mit einem leichten Kopfschütteln. »Wir haben oft gesagt, daß du dich mit deinem Jähzorn eines Tages in ernste Schwierigkeiten bringen würdest.«
»Das ist wirklich passiert?« sagte sie verwundert und leistete keinen Widerstand, als er sie sachte in die Hollywoodschaukel drückte und ihr die Decke umlegte.
»Verstehst du, was das bedeutet, Jane? Du fängst an, dich zu erinnern. Du mußt dir nur Zeit lassen und darfst dich nicht entmutigen lassen. Es kommt bestimmt alles wieder ins Lot. So, und jetzt schlaf noch ein bißchen vor dem Abendessen. Vielleicht melden sich noch andere Erinnerungen.«
Vielleicht melden sich noch andere Erinnerungen, wiederholte sie in Gedanken und sah wieder den roten Wagen, der im Rückwärtsgang auf sie zuraste. Du bist ein ganz schöner Hitzkopf, hatte Michael gesagt. Wir haben oft gesagt, daß du dich mit deinem Jähzorn eines Tages in ernste Schwierigkeiten bringen würdest...
11
»Oh! Hallo! Wie geht’s denn?«
»Kann ich einen Moment reinkommen?«
Carole Bishop wich in den Flur zurück, um Jane hereinzulassen. »Aber natürlich, komm nur rein. Möchtest du eine Tasse Kaffee? Wie geht es dir?«
»Nicht schlecht«, log Jane, die sich hundeelend fühlte.
Sie folgte Carole in die Küche, die wie ihre eigene im rückwärtigen Teil des Hauses lag.
»Ich hab nicht angerufen, weil ich euch nicht stören wollte. Michael sagte, er würde sich melden, wenn ihr etwas brauchen solltet...«
»Ich brauche nichts.« Außer einem klaren Kopf, dachte Jane. »Ich werde bestens versorgt.« Ich bin eine
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